Skandal im Opernhaus

Staatstheater Cottbus: »Das Land des Lächelns« von Franz Lehár

  • Laura Naumburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Skandal im Opernhaus, wohin man blickt. Berlin geht an der Deutschen Oper in die Vollen und wirft den Intendanten ihres größten Musentempels hinaus, Cottbus begnügt sich wenigstens mit einer einzigen Operette. Das Staatstheater hatte den jungen Dresdner Regisseur Jens Neubert mit der Inszenierung von »Land des Lächelns« beauftragt. Seine Konzeption gefiel, und die Probenarbeit begann vielversprechend. Kurz vor der Premiere stellten Intendant Christoph Schroth und Operndirektor Martin Schüler jedoch gravierende handwerkliche Mängel fest. Das Angebot, mit der Hilfe des regieerfahrenen Martin Schüler die Arbeit zu Ende zu bringen, lehnte Jens Neubert als vergröbernd entstellenden Eingriff in seine Intentionen indes ab. Per Gericht wollte er die Premiere der von Martin Schüler weitergeführten Inszenierung verhindern. Entschieden wurde, dass die Inszenierung nicht unter seinem Namen gezeigt werden dürfe. Wo im Programmheft gewöhnlich der Regisseur steht, prangt ein schwarzer Balken. Folgendes begab sich also, von unbekannter Hand arrangiert, auf der Cottbuser Opernbühne: Ein Tonfilm wird gedreht. Der Plot ist der Inhalt der Lehár-Operette »Das Land des Lächelns«. Das Thema Film gehört nicht zufällig gerade zu diesem Werk Franz Lehárs. Sein Lieblings-Tenor Richard Tauber hatte gemeinsam mit seinem Bruder Max eine Filmproduktionsfirma. Ihre Verfilmung von »Das Land des Lächelns« war eine der ersten Großtaten des deutschen Tonfilms. Mit Original-Sequenzen dieses Films aus den 20er Jahren setzt die Inszenierung am Anfang und nach der Pause ein. Lehár hebt den Taktstock, und das Cottbuser Orchester beginnt zu musizieren: gelungene Überraschung. Die Dirigentin Judith Kubitz hatte das Orchester überhaupt gut im Griff. Es mangelte weder an Leichtigkeit noch an Sentimentalität. Dramatische Szenen wurden nicht durch Übertreibungen denunziert, sondern so ernst genommen, wie Lehár es wollte. Es klingt überraschend modern, wenn sich Situationen zuspitzen. Eine Rahmenhandlung im Musiktheater hat Vor- und Nachteile. Natürlich unterbricht es den Strom der Musik, wenn der »Regisseur« Klappen klappen lässt, wenn er Ansagen macht, wenn Kamera und Mikrophon neue Positionen suchen, wenn schließlich die Darsteller tun, was Darsteller tun, die auf ihre Szene warten: Eitelkeiten pflegen. Auf der Haben-Seite der dramaturgischen Idee »Filmdrehen« stehen einige witzige Dialoge und die Gelegenheit, Max Ruda und Hans-Joachim Schröpfer je ein typisches Wiener Lied als Einlage singen zu lassen. Der entscheidende dritte Vorteil der Rahmenhandlung ist die Möglichkeit, die Bühnenfiguren aus einer doppelte Perspektive zu zeigen. In den besten Szenen der Cottbuser Inszenierung geht das so genannte wirkliche Leben der Operettendarsteller kaum merklich in die Gefühlswelt der Operettenfiguren über. Am eindrucksvollsten gelang dies mit dem berühmten Lied des Prinzen Sou-Chong »Immer nur lächeln«. Allein in seiner Garderobe sitzend, stülpt er sich die chinesische Maske über das Gesicht und geht langsam auf den verlassenen Set, der sich am Ende des Liedes unmerklich belebt hat. Die Szene ist »im Kasten«. Dass so etwas möglich ist, bedeutet eine Huldigung für Lehár, der auch in der Operette zeigte, »wie's da drinnen aussieht«, der Tiefe und Wahrhaftigkeit suchte und Figuren in wirkliche Konflikte stellte. Im zweiten Akt, in China, hat die Inszenierung die katalytische Wirkung der Rahmenhandlung nicht mehr nötig. In seinem Kulturkreis glaubt Sou-Chong, traditionsgemäß Macho-Allüren an den Tag legen zu müssen, obwohl es ihm das Herz bricht. Diese Seelenverwirrung zu erforschen, ist die auf Emanzipation und westliche Höflichkeit trainierte Lisa wiederum nicht mehr bereit. Die einander so vorurteilsfrei begegneten, werden sich fremd. Irgendwann liegt Lisa mit zerfetzter Kleidung jammernd am Boden. Jens Klaus Wilde und Gesine Forberger als Prinz und Lisa waren beide gute Sänger-Darsteller. Wilde meisterte seine schwere Partie mit gut sitzender Stimme und einigem Glanz. Es galt immerhin, den Geist Richard Taubers zu beschwören. Vor allem aber gelang es Wilde, die Figurenpsychologie gesanglich zu gestalteten. Die Partie der Lisa fordert weniger Innerlichkeit, gefragt ist ein müheloser, schön timbrierter Sopran, lyrisch leicht, aber nicht soubrettenhaft. Den hat Gesine Forberger. Lisa ist keine frisch geknickte Mädchenblüte, sondern als »Junge Witwe« eine durchaus lebenserfahrene Frau. Das bewahrt sie nicht vor verzweifelter Enttäuschung, und die konnte Forberger ebenso glaubhaft machen wie schwebenden Witz. Julia Bauer als emanzipierte junge Prinzessin Mi bezauberte einmal mehr mit ihrer glitzernd leichten Stimme und spielte beeindruckend Tennis. Hardy Brachmann ersparte dem kleinen Leutnant Gustl übertriebenen Schneid zugunsten sympathischer Geschmeidigkeit. Dirk Kleinke als skurriler Obereunuch demonstrierte die Annäherung der Kulturen von der Rückseite her. Bestechlichkeit funktioniert weltweit. Wieder in Wien, wieder auf dem Set, wird Lisa vom tröstenden Damenchor bereits erwartet. Sie liegt nun operettenfilmgerecht malerisch und in Rüschen gehüllt auf der Ottomane. Ende. Als das Licht ausgeht, verlassen alle in schönster Harmonie das Atelier, nur der alte Diener sieht eine Traumtänzerin auf Spitzen durch die leere Halle schweben. Sehr poetisch, großer Beifall, Premieren-Rosen aus dem Publikum. Der Rechtsstreit um die Produktion geht leider weiter, deshalb sind nächste Aufführungstermine unsicher.
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