Gilberto Rodríguez Orejuela, einer der mächtigsten Drogenbosse im kolumbianischen Kokaingeschäft, kam nach nur sieben Jahren Haft »wegen guter Führung« frei.
Gute Führung oder gute Bestechung - die Meinungen gehen nach der vorzeitigen Entlassung von Gilberto Rodríguez Orejuela auseinander. Seine Festnahme im Juni 1995 galt als größter Erfolg im Kampf gegen das Cali-Drogenkartell. Als größter juristischer Flop muss seine Freilassung Ende letzter Woche gesehen werden.
Nur sieben Jahre hat der wohl mächtigste Boss des Kokaingeschäfts hinter Gittern absitzen müssen - zu 15 Jahren war er verurteilt worden. Nun kann sich der 63-jährige Kolumbianer einen ruhigen Lebensabend gestalten. Mittel dafür hat er überreichlich. 1975 als kleiner Kurier ins Kokaingeschäft eingestiegen, machte sich Rodríguez selbstständig. Durch die Verschiffung von Kokain in die USA wurde er schnell zu einem der reichsten und einflussreichsten Männer der Kokain-Mafia.
80 Prozent des in den USA konsumierten Kokains kamen zeitweise vom Cali-Kartell. Rodríguez konnte Anfang der neunziger Jahre einen Jahresumsatz von rund sieben Milliarden US-Dollar verbuchen. Er bewegte sich in der Millionenstadt Cali wie ein Fisch im Wasser. Ein Netz von hunderten Informanten, zu denen Dutzende Polizisten mittleren und höheren Ranges gehörten, wurde finanziert und bestochen. Mitte der achtziger Jahre kaufte er die Mehrheit der US-amerikanischen First Americas Bank, durch die er Millionenbeträge aus dem Kokaingeschäft waschen ließ. Dank des Einflusses der Kartelle auf die Politiker wurden Gesetze gegen den Drogenhandel regelmäßig aufgeweicht. Die Möglichkeiten einer Strafreduzierung wurden im Laufe der Jahre ständig erweitert, von einem Sechstel auf ein Drittel der angeordneten Haftzeit - Begünstigungen, die neben Rodríguez auch mehreren wegen Korruption inhaftierten Politikern zur Freiheit verhalfen.
Der im August angetretene rechte Präsident Álvaro Uribe Vélez reagierte verärgert auf die Entlassung: »Bis März nächsten Jahres werden wir dem Kongress eine neue Kriminalitätspolitik vorschlagen, die uns von diesem Alptraum kuriert, der den Rechtsstaat aushebelt.« Zuvor hatte er per Präsidentenerlass einen Richter und den Direktor des Hochsicherheitsgefängnisses in Boyacá abgesetzen lassen und damit selbst die formale Unabhängigkeit der Jusitz in Frage gestellt. Ohne Erfolg. Auch in zweiter Instanz wurde die vorzeitige Entlassung von Rodríguez für rechtens erklärt. Zwar werden neue Beweise gesucht, die eine abermalige Verhaftung oder gar eine Auslieferung an die USA begründen könnten, doch die Chancen sind gering.
Dass die Justiz in Kolumbien nicht nur in Sachen Drogenhandel oft beide Augen zudrückt, macht ein gerade veröffentlichter Bericht der Organisation Human Rights Watch deutlich, in dem der seit 15 Monaten amtierende Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio scharf kritisiert wird. Dieser habe seit Amtsantritt systematisch Untersuchungen von Menschenrechtsverbrechen rechter Paramilitärs und Armeeangehöriger torpediert. So seien neun Richter abgesetzt worden, weitere wurden zum Rücktritt gezwungen.
Der Bericht hat erhebliche Brisanz, da das Land seit dem 11.August unter Ausnahmezustand steht. In mehreren Regionen Kolumbiens besitzt die Armee Sondervollmachten, die eine juristische Kontrolle militärischer Aktivitäten nahezu unmöglich machen. Der Ausnahmezustand wurde von Präsident Uribe Vélez erst am Wochenende um 90 Tage verlängert.
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