Ein Kurhaus, das zum Albtraum wurde

Wolfgang Schreyer wandelte einen Reportagestoff aus Ahrenshoop in eine Erzählung um

  • Wolfgang Rex, Ahrenshoop
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Reportage wäre möglicherweise teuer geworden. Das räumt Wolfgang Schreyer in seiner aktuellen Erzählung »Das Kurhaus« ein. Der 75-Jährige beschreibt den Streit um das Kurhaus in Ahrenshoop. Eine Hotelkette will das zu DDR-Zeiten gebaute und inzwischen zur Ruine verfallene Kurhaus abreißen und an dessen Stelle ein Luxushotel mit mehr als 200 Betten bauen. Schreyer ist gegen solches Hotel, weil es mit seiner Größe den Charakter des Seebades zerstöre. Eine Mehrheit der Ahrenshooper lehne den Bau ab: »Schon das alte Kurhaus war etwas zu groß und in seinem Äußeren ein Fremdkörper. Das Grandhotel wird viel zu groß sein und eine Provokation gegen den Charakter von Ahrenshoop.«
Das »Neue Deutschland« spielt eine tragende Rolle beim Erzählen über das Kurhaus. Vor den Septemberwahlen 2002 stellte die Redaktion eine vierseitige Sonderbeilage »Mecklenburg-Vorpommern« zusammen. Für die Titelseite bat die Redaktion den Ahrenshooper Schriftsteller um einen Beitrag. Seine Reaktion kommentiert Schreyer so: »Früher, als Zentralorgan der Staatspartei, hatte das Blatt mich ignoriert, wegen meiner Nähe zu Stefan Heym.« Schreyer sagte trotzdem zu: »Heym war tot, er hatte der PDS nahe gestanden, eine Zeit lang für sie im Bonner Bundestag gesessen, und der Redakteur kannte unsere Beziehung.«
Für Schreyers Leben in der DDR sind die Tagebücher der Neubrandenburger Schriftstellerin Brigitte Reimann eine ergiebige Quelle. Am 3.1.1966 notierte die Reimann über einen Besuch mit ihrem Geliebten Jon in Schreyers Haus: »Jon hatte mit Wolfgang eine Diskussion über den Havemann-Aufsatz zur KPD-Neubildung... Bei W. (Schreyer, d.R.) habe ich auch den Aufsatz von Heym gelesen "Die Langeweile von Minsk". Bei uns ist er nicht gedruckt worden... Ich finde den Aufsatz sehr klug, sachlich, er enthält interessante Gedanken.« Damals hatte Bernt von Kügelgen, der auch mal Wochenpost-Chef war, den Beitrag Heyms verrissen. Schreyer reagierte und schickte der Reimann eine Abschrift seines Briefs an von Kügelgen, »in dem er ihn wegen seines läpschen Kommentars attackiert und ihn einen "konservativen Sozialisten" nennt, im Gegensatz zum "linken Sozialisten" Heym, der zu denen gehöre, die sich in den letzten elf Jahren neue Gedanken gemacht haben«. So gibt Reimann den Brief wieder.
In der Erzählung geht die ND-Mitarbeit für Schreyer nicht gut aus. Die mittlere Ebene des Hotelkonzerns hatte beim Haupthelden eine Kurhauschronik bestellt und wollte das Manuskript recht gut bezahlen. Nach dem Erscheinen der ND-Kolumne wurde die bestellte Chronik zwar angenommen, aber nur zum Umarbeiten. Auf die Restzahlungen muss der Held verzichten.
In einer früheren Erzählung hat Wolfgang Schreyer schon mal geschafft, genau das zu sagen, was nicht gesagt werden darf. »Die Entführung« erschien Ende der 70er Jahre in der DDR. Schreyer berief sich dabei auf Gespräche mit Guatemalteken Ende 1976 in Havanna. In seiner Geschichte beschreibt er, wie der linke Arm der Arbeiterpartei Guatemalas den bewaffneten Kampf auch mit Terror führte. Das hielt die DDR-Führung gleich zweifach für beklagenswert. Die Arbeiterpartei war eine der kommunistischen »Bruderparteien«. Deren Widersprüche durften erst öffentlich werden, wenn der Befehl aus Moskau kam. Obendrein, so Schreyer rückblickend im November 2002, habe die Kampfführung der Leute aus Guatemala, wenn auch »vor einem ganz anderen politischen Hintergrund, verblüffend dem RAF-Terrorismus in der Bundesrepublik« geähnelt. Schreyer wurde zu DDR-Zeiten angewiesen, das Land, in dem die Geschichte spielt, unkenntlich zu machen und Personen der Zeitgeschichte nur mit dem Anfangsbuchstaben zu nennen. Das tat er, das Buch erschien und erlebte sechs Auflagen mit 118000 Exemplaren. Da im Text alle Nachbarstaaten Guatemalas genannt wurden, konnte jeder Leser auf den Handlungsort schließen.
Im »Kurhaus« benennt Schreyer die in Ahrenshoop agierende Hotelkette in »Baltic flair« um. Interessierte können schon im Grundbuch nachlesen, wem der Boden unter dem Kurhaus tatsächlich gehört. Die richtigen Namen der Besitzer im Text könnten Folgen haben, warnt eine der Randpersonen in Schreyers Buch. Klagen vor Gericht, mögliche Strafen droht der fiktive Auftraggeber an. So wurde bei Schreyer aus einem Reportagestoff die Erzählung »Das Kurhaus«.


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