Tarifvertrag zur Zeitarbeit bleibt eine »harte Nuss«

Verhandlungen für die gesamte Branche beginnen Ende Januar 2003

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: 3 Min.
Verhandlungen über einen flächendeckenden Tarifvertrag für die gesamte Zeitarbeitsbranche sollen am 30. Januar 2003 aufgenommen werden. Das erklärten Vertreter der Zeitarbeitsverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Dienstagabend nach ersten Sondierungsgesprächen in Berlin.
Die Ausweitung der Zeitarbeit ist einer der Kernpunkte der Hartz-Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes. Hierdurch erhofft sich die Bundesregierung, über 300000 Arbeitslose aus der Statistik entfernen zu können. Doch über einen Tarifvertrag der »hire and fire«-Branche wird kräftig gestritten werden müssen. Noch ist völlig unklar, nach welchen Kriterien, Branchen, Qualifikationen oder Regionen ein Tarifvertrag gestrickt werden könnte, der zudem bundesweit wirksam sein soll. Denn neben der kommerziell organisierten Verleihung von Arbeitssuchenden gibt es künftig die quasi staatlich subventionierte vermittlungsorientierte Leiharbeit der Arbeitsämter durch die PersonalServiceAgenturen (PSA). Erstmals wird aber die profitorientierte Verleiherbranche gezwungen, überhaupt einen flächendeckenden Tarifvertrag für die von ihr weitervermittelten ArbeitnehmerInnen abzuschließen. Und so gab ihr Vertreter, Jürgen Uhlemann vom Bundesverband Zeitarbeit, dessen Mitglieder rund 65 Prozent des Umsatzvolumens der Branche erwirtschaften, am Dienstagabend nach einem ersten Sondierungsgespräch mit dem DGB unumwunden zu: »Wir setzen uns nicht freiwillig mit den Gewerkschaften zusammen.« Der sonst geltende Grundsatz der Koalitionsfreiheit sei ausgehebelt worden. »Wir haben nur die Wahl zwischen einem Tarifvertrag oder dem equal pay«. Letzteres steht für die vermeintliche Gleichbehandlung von Leiharbeitern in punkto Entgelt und Arbeitsbedingungen mit der Stammbelegschaft des Entleiher-Betriebes. Genau auf diesen Grundsatz will der DGB bei der kommerziellen Zeitarbeit aber bestehen, erklärte der Tarifexperte und gewerkschaftliche Verhandlungsführer Reinhard Dombre. Einzig bei der vermittlungsorientierten Zeitarbeit durch die PSA sei der Gewerkschaftsbund bereit, hiervon abzuweichen, wenn etwa Vermittlungshemmnisse bei den Arbeitslosen bestünden. Doch bei der kommerziellen Leiharbeit sah die Lohn-Realität bislang anders aus. Die Durchschnittslöhne der Zeit-Arbeitnehmer erreichten 2001 nach Angaben des Fördervereins gewerkschaftlicher Arbeitslosenarbeit nur knapp 60 Prozent im Westen und knapp 70 Prozent des Durchschnittsverdienst der Gesamtwirtschaft. Zudem gibt es einen Wust von Entlohnungsmodellen, und noch haben beide Verhandlungsseiten keine Vorschläge, wie die Einhaltung eines künftigen Tarifvertrags überprüft werden könne. Der Zeitarbeitsvertreter Jürgen Uhlemann sah bereits »eine neue Armada von Kontrolleuren« ausrücken, mit der die Bundesanstalt allerdings nicht wie geplant »schlanker und schlagkräftiger« würde. Gleichzeitig warnte Uhlemann davor, »den Arbeitsmarkt-Motor Zeitarbeit der vergangenen zehn Jahre nicht abzuwürgen und nicht ins Stottern zu bringen«. Gewerkschafter kommen zu einer anderen Bewertung: Statistisch gesehen gelingt es nur jedem siebenten Leiharbeitnehmer, durch die gewonnenen Kontakte zu Arbeitgebern eine Festanstellung zu finden. Auch das machte jüngst der gewerkschaftliche Förderverein für Arbeitslosenarbeit öffentlich. Doch auch wenn 2003 vielleicht ein Tarifvertrag zu Stande kommt, wird der Gehaltsunterschied zwischen Ost und West auch in dieser Branche festgeschrieben. Denn der Tariflohn am Einsatzbetrieb ist ausschlaggebend für das Entgelt der Leiharbeitnehmer. Über inhaltliche Details wird indes frühestens ab dem 30. Januar 2003 gesprochen. Denn zunächst will die Arbeitgeberseite aus drei führenden Zeitarbeitsverbänden am 16. Januar eine Tarifgemeinschaft für die Verhandlungen bilden. Dazu gehören der Bundesverband Zeitarbeit, der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und der Interessenverband nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen. Letzterer, vertreten durch Holger Piening, begrüßte es, dass der DGB zunächst darauf verzichtet, parallel Haustarifverträge abzuschließen. Denn Einmütigkeit bestand nach dem ersten Sondierungsgespräch zumindest darin, dass bei den Verhandlungen Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen soll, um handwerkliche Fehler zu vermeiden.

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