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Worte! Worte! Keine Taten!
Berühmte Liebespaare: Heinrich Heine und Elise Krinitz
Er war ein schwerkranker Mann. Sechs Jahre zuvor, in Paris und bald auch im übrigen Europa tobte soeben die Revolution, war er körperlich zusammengebrochen; wenn man seinem poetischen Zeugnis Glauben schenken darf, geschah das im Museum des Louvre, und zwar angesichts der berühmten Statue der Venus von Milo, was er durchaus auch symbolisch gedeutet wissen wollte. Seither versagten ihm die Beine den Dienst. Die Lähmung ergriff noch andere Teile des Leibes und die Hälfte des Gesichts, zeitweilig war er beinahe blind, zeitweilig konnte er nichts mehr schmecken, und auf Dauer blieben seine Augenlider gelähmt, dass er, um etwas sehen zu können, mit der Hand ein Lid hochschieben und festhalten musste.
>Bei alledem litt er unter ständigen Schmerzen. Krämpfe und Koliken suchten ihn heim. Jeder Druck, jede derbe Berührung bereiteten ihm Qualen; um sie zu mildern, wurden mehrere weiche Unterlagen übereinander getan, dass er sich auf sie bettete. Es war die von ihm so genannte Matratzengruft. Zur Linderung der trotz allem anhaltenden Schmerzen wurden ihm ständig Betäubungsmittel verabreicht, oral und in der Form von Einläufen, außerdem wurde in seinem Nacken ständig eine Wunde offen gehalten, in die man Morphium streute.
Man hat über die Ursachen von Heines Erkrankung viel gerätselt; häufig wurde sie als Folge einer Syphilis-Infektion gedeutet, auch Heine selbst scheint dieser Überzeugung gewesen zu sein. Gegen eine derartige Diagnose spricht der Umstand, dass es bei Heine bis zuletzt zu keinerlei Form von Bewusstseinstrübung gekommen ist, und heute wird vielmehr eine myatrophische Lateralsklerose angenommen, das ist eine zu Muskelschwund führende Erkrankung des Rückenmarks.
Heinrich Heine ertrug sein Siechtum mit staunenswerter Tapferkeit. Ungebrochen war sein Fleiß, und trotz seiner Sehschwäche schrieb er weiterhin seine Texte selbst auf, Verse und Prosa; die Manuskripte, heute liegen sie in der Pariser Nationalbibliothek, zeigen seine immer größer werdende und erkennbar unter Zittern notierte Schrift. Seine umfangreiche Korrespondenz diktierte er Sekretären. Mit alledem lenkte er sich ab, zudem war er angewiesen auf die eingehenden Honorare, da seine Lebensumstände und seine Behandlung teuer kamen, nicht zuletzt infolge der Unfähigkeit seiner Frau, mit Geld angemessen umzugehen.
Er nannte sie Mathilde. Eigentlich hieß sie Crescentia und stammte von einem Dorf. Geboren als ein uneheliches Kind, ging sie mit fünfzehn Jahren nach Paris, wo sie bei einer Tante, die ein Schuhgeschäft besaß, als Verkäuferin unterkam; hier lernte Heine sie kennen, im Jahre 1834, da war sie eben neunzehn. Zunächst schien es bloß eine flüchtige Affäre zu sein, wie Heine sie häufig unterhielt, bald aber verliebte sich der Dichter so nachdrücklich in sie, dass er mit ihr zusammenzog. 1841 schlossen sie amtlich die Ehe.
Sie war, als er sie kennen lernte, eine Analphabetin, ihre nachträgliche Schulbildung in einem vornehmen Internat kostete ihn einiges Geld. Einen wirklichen Begriff von Heines Beruf hatte sie auch danach noch nicht und würde ihn niemals haben. »Die Leute sagen«, äußerte sie, »dass mein Henri ein großer Poet sei. Ist es nicht putzig, dass ich so gar nichts davon verstehe?« Heine selbst urteilte: »Sie hat einen sehr schwachen Kopf, aber ein ganz vortreffliches Herz.« Er liebte sie eben deswegen.
Sie war hübsch gewachsen, etwas üppig, was sich dann noch verstärkte, da sie als gute Französin ein ungebrochenes Verhältnis zu ausführlichen Mahlzeiten hatte; Heine sprach bald von seiner »dicken Mathilde«. Ihre Ehe, die ein wenig an Goethes Ehe mit Christiane erinnert (nicht zufällig war Heine sein Leben lang ein glühender Bewunderer des Klassikers aus Weimar), blieb nicht ohne Krisen, doch als Heine erkrankte, blieb Mathilde getreulich bei ihm und um ihn; Heine seinerseits sorgte sich, ob sie nach seinem Ableben materiell auch versorgt bleibe.
1855 war sie vierzig Jahre alt und ging, wenn es sich so ergab, ihren Zerstreuungen nach; für die Pflege ihres kranken Henri gab es Hilfskräfte, und auch sonst kamen immer wieder Leute ins Haus, Bewunderer, Verleger, Übersetzer. Noch immer war es, dass sie von seiner Arbeit fast nichts begriff, und die deutsche Sprache, in der er schrieb und in der er mit den meisten Besuchern sprach, beherrschte sie nicht.
Am 16. Juni 1855 bat ihn eine junge Verehrerin um die Erlaubnis zu einem Besuch. Sie wurde ihr brieflich gewährt. Sie missverstand dies als bloße Floskel und erschien nicht. Heine schrieb ihr neuerlich; er konnte gar nicht genug an Besuchen empfangen, sie lenkten ihn ab. Die junge Frau schickte ihm die von ihr verfertigte französische Übersetzung eines seiner Gedichte, dann erschien sie selbst.
Sie stand vor dem Schwerkranken. »Ich glaubte einen Christuskopf vor mir zu sehen«, notiert sie, »über dessen Gesicht Mephistos Lächeln glitt.« Sätze wie dieser verraten eine gewisse Bildung und eine erkennbare stilistische Eleganz. Außerdem war die Besucherin äußerlich recht attraktiv. Heine zeigte sich deutlich beeindruckt. Er bat sie wiederzukommen, und sie tat es.
Sie pflegte ihre Briefe mit einem Petschaft zu versiegeln, auf dem eine Fliege zu sehen war, Heine nannte sie daher Mouche. Wer sie in Wahrheit war, blieb lange Zeit unklar und ist mit allerletzter Sicherheit bis heute nicht erhellt; sie hat über ihre Begegnung mit Heine Erinnerungen verfasst und drucken lassen, unter dem Namen Camilla Selden, der aber ein Pseudonym war, eines von gleich mehreren. Eigentlich hieß sie wohl Elise Krinitz.
Sie wurde 1818 in Prag geboren, war vermutlich das uneheliche Kind einer hochgestellten Persönlichkeit und wurde adoptiert von dem aus Leipzig stammenden Bankiersehepaar Krinitz, das sich nach dem Bankrott seines Unternehmens in Paris niederließ. Elise führte ein unstetes Leben, war vermutlich verheiratet, in London; es heißt, ihr Ehemann ließ sie in ein Irrenhaus einweisen, aus dem sie mit der Hilfe eines Arztes aber entkam. Sie pflegte Formen und Attitüden einer weiblichen Emanzipiertheit, wie sie sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa herauszubilden begann.
Heinrich Heines europäischer Ruhm als Schriftsteller gründete außer auf seinen essayistischen Schriften, deren politische Keckheit ihm die Verfolgung der deutschen Behörden einbrachte, weswegen er dann nach Paris ging, vor allem auf seiner Lyrik, deren Mischung aus Volksliednaivität und erotischem Freisinn, aus Ironie und Sentiment bis dahin unerhört war; sie bescherte ihm ein großes Publikum. Er stand im Geruch eines ausschweifenden Liebhabers, der er aber so wohl nicht war, nicht sein konnte, da er auf seine seit Jugendtagen angegriffene Konstitution Rücksicht nehmen musste. Nun, im siebten Jahr der Matratzengruft, ließ sich an Sexualität schon gar nicht mehr denken. Heines Verhältnis zu Mouche blieb völlig virtuell.
Sie kommt zu ihm, so oft es geht. Sie liest ihm vor. Sie versieht kleine Sekretärsarbeiten. Manchmal muss er ihr absagen, da es ihm zu miserabel geht, manchmal ist auch sie verhindert, worunter er dann leidet, als »ein Todter, lechzend nach den lebendigsten Lebensgenüssen«, wie er ihr schreibt. Sie reden. Er erzählt ihr seine Träume. »Ich liebe Sie mit todtkranker, innigster Zärtlichkeit«, schreibt er ein andermal. Er macht ihr Geschenke. Er bringt sie mit seinen Geschwistern zusammen, da sie ihn in Paris besuchen.
Mathilde wird eifersüchtig; die junge Frau, mit der sich ihr Henri so prächtig versteht und so ausgedehnte Unterhaltungen führt, von denen sie kein Wort begreift, ist dreizehn Jahre jünger als sie. Ihre bohrenden Empfindungen sind wohlbegründet und völlig grundlos zugleich, die beiden halten sich bei den Händen, das ist alles.
Er nennt sie manchmal Lotosblume. In Asien ist dies ein Inbegriff göttlicher Vollkommenheit, und so nennt er sie auch in einem seiner späten Gedichte:
Die Lotosblume erschließet
Ihr Kelchlein Mondenlicht,
Doch statt des befruchtenden Lebens
Empfängt sie nur sein Gedicht.
In einer anderen Strophe wird die hier nur recht vorsichtige Andeutung des körperlichen Unvermögens drastischer formuliert, im charakteristischen, leicht schnoddrigen Heine-Ton:
Worte! Worte! Keine Taten!
Niemals Fleisch, geliebte Puppe,
Immer Geist und keinen Braten,
Keine Knödel in der Suppe.
Die Mouche besucht Heine bis kurz vor seinem Tode. Am 16. Februar 1856 hat sie sich angekündigt, bleibt aber aus, man kennt nicht den Grund. Seit dem 14. Februar hat er schwere Brechanfälle gehabt. Ein Bekannter erscheint und stellt aufgeregt die Frage nach Heines Verhältnis zu Gott. Die Antwort des Dichters: »Seien Sie ruhig, Gott wird mir schon verzeihen. Schließlich ist das sein Beruf.« Zwischendurch versucht er zu schreiben. Auch seine allerletzten Worte handeln von »Papier, Bleistift«. Er stirbt am 17. Februar morgens fünf Uhr.
Er wird auf dem Friedhof von Montmartre beigesetzt. Etwa hundert Menschen folgen seinem Sarg. Auf der Grabeinfassung findet sich heute eines seiner Gedichte, auf deutsch, mit dem Titel »Wo?« Man hätte ebenso ein anderes anbringen können, ein Liebesgedicht, eines seiner allerletzten und wohl sein schmerzlichstes, er verfasste es auf die Mouche, die er darin als gelb-violette Marterblume beschreibt:
Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,
Frag, was sie duften, Nachtviol und Rosen.
Doch frage nie, wovon im Mondenschein
Die Marterblume und ihr Toter kosen.
Rolf Schneider. Geboren 1932 in Chemnitz, aufgewachsen im Harz. Studium der Philologie, Geschichtswissenschaft und Pädagogik in Halle. Schüler u.a. von Victor Klemperer. Redakteur im Aufbau-Verlag Berlin, Arbeiten für den Rundfunk. Seit 1958 freier Autor. Erste Publikationen in Peter Huchels »Sinn und Form«. Mitinitiator des Protests gegen Biermanns Ausbürgerung, Auschluss aus dem Schriftstellerverband der DDR. Dramaturg und Regisseur an Theatern in der BRD. Nach der Wende auch Essays und Sonntagsgeschichten im ND. Werke: Romane, Sachbücher, Essays, Bühnenstücke. Zuletzt: »November«, Roman; »Frühling im Herbst«, »Volk ohne Trauer«, »Potsdam. Garnison und Arkadien«, »Leben in Wien« (Aufsatzsammlungen); »Die Sprache des Geldes« (Reportagen); »Vor tausend Jahren. Alltag im Mittelalter« (Sachbuch). In seiner biografischen Sammlung »Ich bin ein Narr und weiß es«, die Ende August im Aufbau Taschenbuch Verlag erscheint, geht Schneider »Liebesaffären deutscher Literaten« mit Sachkenntnis und Feingefühl auf den Grund. »Sittliche Entkrampfung und erotische Freizügigkeit, die heute in unseren Breiten herrschen«, so der Autor in seinem Vorwort, seien »durch die schöne Literatur vorgelebt und vorbereitet worden«. Was zu beweisen war an Pärchen und Paarungen wie Georg und Grete Trakl, Arthur Schnitzler und Adele Sandrock, Rosa Luxemburg und Kostja Zetkin, Klaus Mann und Gustaf Gründgens, Bertolt Brecht und Ruth Berlau, Martin Heidegger und Hannah Arendt und anderen. Wir entschieden uns für die letzte Liebe Heinrich Heines, bei der manchem spontan Mathilde einfallen dürfte, die herzensgut-naive (Ehe-)Frau an seiner Seite bis zuletzt. Doch es gab auch noch Elise Krinitz... Foto: Therese Schneider
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