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In London blieb kaum Zeit für Weltwirtschaft

  • WERNER GOLDSTEIN
  • Lesedauer: 4 Min.

Als sich vor siebzehn Jahren die Gruppe der sieben entwickeltsten Industriestaaten zum ersten Mal traf, gab es dafür einen akuten Anlaß - die von den arabischen Erdölförderern ausgelöste Energie- und die Weltwirtschaftskrise 1973/74. Solche auf den Nägeln brennenden ökonomischen Probleme sah der 17. Gipfel in London anscheinend nicht. Politische Themen überwogen die drei Verhandlungstage im Lancaster House, von der Golfund Nahostkrise bis hin zum Waffenhandel. Hätte es nicht den Gast aus der Sowjetunion gegeben, man wäre geneigt, nach Lektüre des 16seitigen Schlußdokuments „Eine weltweite Partnerschaft aufbauen“ (siehe. Seite 5) zu urteilen: Viel Lärm um nichts. Denn das meiste war mit fast identischen Formulierungen schon auf vorangegangenen Gipfeltreffen konstatiert worden.

Darf man nun hoffen, daß vom Londoner Gipfel mehr als schöne Worte bleiben? Der Sowjetunion, hieß es, soll die Integration in die Weltwirtschaft erleichtert werden. Aber es blieb letztlich bei Absichtserklärungen. Man hatte sich geeinigt, Gorbatschow nicht mit leeren Händen, aber auch nicht mit vollen Taschen ziehen zu lassen.

Zum leidigen Thema des Abbaus protektionistischer Hürden im

Welthandel ebenfalls nichts Neues. Schon im Vorjahr gab es die Verpflichtung, die bereits sechs Jahre lang verhandelte Uruguay-Runde des Allgemeinen Abkommens über Tarife und Handel (GATT) erfolgreich abzuschließen. Aber das scheiterte am Widerstand der EG, also auch einiger der Unterzeichner der damaligen Houston-Erklärung der Sieben. Sie sahen ihre politischen Interessen bei einer Verminderung der Exportsubventionen für Agrarprodukte gefährdet; zum Schaden nicht nur der großen Getreideexportländer in Nordamerika und Südamerika sowie Australiens, sondern vor allem von Entwicklungsländern, für die der freie Zugang zu den europäischen Märkten eine Existenzfrage ist.

In London hat man nun erneut einen Jahresendtermin für den Abschluß der Uruguay-Runde gesetzt, diesmal als „Chef sache“ deklariert. Dabei war erst in der Vorwoche wieder die Brüsseler EG-Kommission, die für die Senkung der Agrarsubventionen eintritt, an einigen Landwirtschafts- und Finanzministern von EG-Staaten gescheitert. Wenn aber die Uruguay-Runde, bei der es auch um zahlreiche Handelserleichterungen, vor allem für Dritte-Welt-Länder, geht, nicht bald abge-

schlossen wird, sieht es eher nach Handelskrieg als nach Handelswachstum aus.

Nicht viel günstiger stellt sich das Verschuldungsproblem der meisten Dritte-Welt-Länder dar, wenn auch dazu im Abschlußkommunique viele gute Worte gefunden wurden. Wie schon auf dem Toronto-Gipfel, wo zumindest begonnen worden war, den ärmsten afrikanischen Staaten die Schuldenlast zu erleichtern. Allerdings mit geringem Erfolg, denn ihre Lage hat sich indessen nur noch verschlechtert.

Nicht, daß es an ernsthaften Vorschlägen etwa von Mitterrand oder Major gefehlt hätte; doch es gibt offensichtlich unterschiedliche Interessen, wenn der Franzose die Entschuldung zur Priorität erklärt, der USA-Präsident dagegen Freihandel, weil das die beste Hilfe für Entwicklungsländer sei. Gewiß, ein gewichtiges Argument. Aber die Realitäten sehen anders aus, die Hürden gegen Exportgüter aus Entwicklungsländern wachsen vielfach noch. Da erweist sich die Abschlußerklärung wenig hilfreich, wenn sie den ärmsten Schuldnerländern Erleichterungen verspricht, die „weit“ über das Bisherige hinausgehen. IWF, Weltbank und Privatbanken haben sich

durchgesetzt: Jeder „Fall“ wird, wie gehabt, für sich behandelt.

Nicht sonderlich optimistisch stimmt die Einschätzung der eigenen ökonomische Probleme der Sieben, wenn auch ein recht geschöntes Bild der Lage gegeben wird. Tatsache bleibt leider, daß der vielbeschworene Aufschwung in den USA, Kanada, Großbritannien oder Italien noch ausbleibt. Oder daß der Zinskrieg zwischen den Sieben anhält. Oder die wachsenden Budgetdefizite - gerade meldet Washington einen Anstieg des Etatdefizits im kommenden Jahr um fast 70 Milliarden auf 350 Milliarden Dollar. Wohltönende Worte ändern nichts. Dabei hängt von der ökonomischen Stärke der Siebener-Gruppe, die über die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung und des Welthandels repräsentiert, für die Lösung der zahlreichen internationalen Probleme immens viel ab.

Bleibt unter dem Londoner Strich, daß Gorbatschows Beitrag zumindest den weltwirtschaftlichen Themenkatalog der Siebener-Treffen erweitert hat und hoffen läßt, daß der Münchener Gipfel 1992 weniger aus vorangegangenen Gipfel-Kommuniques zu übernehmen hat.

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