Filme, Mut, Kartoffelsuppe

Lothar Bisky zum Sechzigsten. Ein Brief von Regisseur Andreas Dresen

  • Lesedauer: 8 Min.
Lieber Lothar,
im August des Jahres 1991 - heute vor genau zehn Jahren - kamen wir, eine Handvoll Filmstudenten, in die damals noch junge Brandenburger Staatskanzlei, um dir zum 50. Geburtstag zu gratulieren. Du warst damals gerade der PDS-Vorsitzende von Brandenburg geworden. Wir schenkten dir ein Monopoly-Spiel und eine Büchse deiner geliebten Kartoffelsuppe. Die Kombination erschien uns unter den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen irgendwie passend. Es gab Sekt und wir standen in einem etwas zu kleinen Raum, der die vielen Menschen, die gekommen waren, um dich zu ehren, gar nicht richtig fassen konnte. Es waren überwiegend Leute in Schlips und Anzug da, aus allen möglichen politischen Lagern. Du standest dort, inmitten der vielen jovialen Politiker und es wirkte so, als wäre der ganze Rummel um deine Person dir ein wenig peinlich. Du hattest dein stilles, etwas verlegenes Lächeln aufgesetzt, hast wie immer Witze gerissen und doch schien es mir damals, als wärest du irgendwie ein Fremder in dieser Umgebung.

Fünf Jahre davor, im Spätsommer 1986, waren wir uns zum ersten Mal begegnet. Du kamst als neuer Rektor an die Filmhochschule in Babelsberg, ich begann ebendort mein Studium in der Fachrichtung Regie. Du hattest meist einen Jeansanzug oder eine Lederjacke an, für einen Rektor an so einer Medienschule zu diesen Zeiten doch eher ungewöhnlich. Es war die Ära von Gorbatschow, wir waren erfüllt von seinen Reformideen und wollten Filme machen, die die Realität unseres Landes spiegeln sollten, die tatsächlichen Konflikte. Viele Kommilitonen der älteren Semester hatten zu diesem Zeitpunkt bereits resigniert, zu oft schon hatten sie die Erfahrung von politischer Zensur machen müssen. Aber du hast uns ermutigt. Und dann haben wir einfach damit angefangen.

Weißt du noch? Ich hatte einen kleinen, eigentlich eher harmlosen Dokumentarfilm gemacht, der von einem Jungen erzählte, der seinen Grundwehrdienst bei der NVA antreten musste. Wir haben ihn mit der Kamera in den ersten Wochen begleitet um zu zeigen, wie es einem dabei so ergeht. Ohne Beschönigung, so wie wir es selbst ja auch erlebt hatten. Da gab es wenig Tam-Tam, eher Nachdenkliches: ein Training zur Vereidigung, wo der Schwur immer wieder und vor allem laut nachgesprochen werden musste, eine Weihnachtsfeier, bei der ein junger Leutnant sich abmühte, seine traurigen Soldaten zu motivieren, und ähnliches. Es war ein Film von vielen, meine Kommilitonen hatten sich in ihren Übungen zum Beispiel mit einem Punk beschäftigt oder mit zwei Freundinnen, von denen eine bei der FDJ und die andere bei der jungen Gemeinde war. Alltag eben, aber genau der kam ja in Film und Fernsehen der DDR so selten vor. Entsprechend hoch schlugen die Wogen, als die kleinen Filme aufgeführt wurden. Bei mir war sogar von »Wehrkraftzersetzung« die Rede, die militärische Hauptverwaltung schaltete sich ein, später gar das ZK der SED. Ich habe davon wenig mitbekommen, denn all diese Kämpfe hast ja du durchgestanden und unsere Filme durften weiter gezeigt werden. Bis zu einem Tag im Januar 89, da wurde ich zu dir ins Rektorenzimmer bestellt. Wir saßen uns gegenüber und du meintest, du könnest jetzt erst mal nichts mehr weiter tun, als den Film für eine Weile nicht mehr zu zeigen. Der Druck von außen sei zu groß geworden. Du wirktest müde und ein wenig traurig und ich war es auch. Als ich schon gehen wollte und irgendwie den Kopf hängen ließ, hast Du ganz fest meine Hand genommen und gesagt, ich soll unbedingt so weitermachen, du fändest es richtig und ermutigend, wenn die Filme deiner Studenten Aufsehen bis in die höchsten Kreise des ZK erregen. Du hast das Verbot quasi rumgedreht, es mir als Ansporn mit auf den Weg gegeben.

Es ist leicht, die Klappe aufzureißen, wenn ein schützendes, breites Kreuz vor einem steht. Nein Lothar, wir Studenten waren nicht mutig, wir haben nur unseren vorhandenen Spielraum genutzt. Mutig warst du, der du das alles vertreten und zugelassen hast. Ich weiß, das hörst du nicht gerne, dazu bist du viel zu bescheiden, im Gegensatz zu vielen anderen, die sich immer wieder mit ihren konspirativen Großtaten hervortun. Aber es hat mich später doch sehr wütend gemacht, wenn ausgerechnet jemand wie du als Vertreter der »alten SED« für das Unrecht der DDR den Kopf hinhalten musste. Und Leute, die gewiss kein bisschen mutiger waren, durften sich als Hüter von Recht und Ordnung aufspielen. Wie du waren eine Reihe anständiger Leute in die Partei gegangen, weil sie der Meinung waren, das System nur von innen heraus reformieren zu können. Und liefen dann gegen Wände, kämpften mit den Windmühlenflügeln von Engstirnigkeit und Bürokratie. Wie einfach wäre die Welt, würden Opfer immer nur Opfer und Täter immer nur Täter sein. Auf die DDR bezogen wären dann die von der SED die Bösen gewesen und die anderen eben die Widerstandskämpfer. In meiner Erfahrung gab es da jedoch eine Menge Überschneidungen. Und das ist auch bis heute noch so geblieben.

Es schien dann geradezu eine logische Konsequenz, dass ein kritischer Geist wie du in der Umbruchsituation des Landes auch politische Verantwortung übernimmt. Und du konntest unter diesen Umständen dann natürlich nicht mehr unser Rektor sein. Wir waren sehr unglücklich darüber, aber haben es verstanden und akzeptiert. Für dich begann die Reise in die »Welt der belegten Brötchen«, die es seitdem immer bei allen politischen Empfängen und Besprechungen gab, wie du mal geklagt hast. Dein »Brötchenfrust« begann. Deine Zeit wurde knapper, du wurdest zu einer öffentlichen Person. Wir haben uns seltener getroffen, immer öfter tauchtest du in den Nachrichten oder bei Talkrunden auf. Manchmal war es merkwürdig, ich sah dich dort sitzen, zwischen all den politischen Schwergewichten dieser Republik, die dich angriffen oder dir über den Mund zu fahren versuchten und du wirktest ein wenig wie aus einer anderen Welt. Der dort saß, war doch eigentlich gar kein Politiker, das war doch Lothar, der Junge vom Land, den man nun in einen Anzug gesteckt hatte, der aber doch am liebsten Kartoffelsuppe aß, der bescheiden und freundlich war, mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit. Was machte dieser Lothar in solch einer korrupten Elefantenrunde? Es schien, als wäre diese Welt gar nicht die deine, als wäre da eine riesige Kluft zwischen dir und diesen anderen Leuten mit den eingeübten Gesten und dem so sicheren Auftreten. Es wirkte, als hättest du dich dorthin nur verirrt, mit deinem verlegenen Lachen, deiner graden Einfachheit. Und ich habe mir gewünscht, dir bliebe das erspart, dachte daran, wie schön es wäre, gerade jetzt mit dir reden zu können oder ein Bier zu trinken. Ich hab mir vorgestellt, wie dir nach der Gesprächsrunde diese smarten Herren gönnerhaft auf die Schulter klopfen oder dich einfach und im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen. Und ich war froh, dass du danach nicht alleine sein musstest, dass du liebe Menschen an deiner Seite hast, deine Frau, deine Kinder, deine vielen Freunde. Sie haben dir das alles sicher leichter gemacht, auch wenn es manchmal schrecklich gewesen sein muss.

Natürlich nicht nur, das weiß ich auch. Ich hab dich mal besucht, da warst du schon Parteivorsitzender und hast immer noch in deiner mit Büchern vollgestopften Köpenicker Wohnung gelebt, ohne irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen, obwohl es sicher einige gab, die dir nicht gerade freundlich gesinnt waren. Du warst gerade aus Kuba gekommen und hattest mit Fidel Castro gesprochen. Ich glaube, da war ein Traum von dir in Erfüllung gegangen. Deine Augen haben geleuchtet, als du von der Begegnung erzählt hast und wir haben darüber nachgedacht, einen Film über diesen spannenden Mann zu machen. Weißt du noch? Leider ist nie was daraus geworden, aber vielleicht sollten wir es noch mal probieren. Alte Träume müssen ja nicht immer die schlechtesten sein.

Ich konnte jedenfalls gut verstehen, dass du nicht mehr Parteivorsitzender sein wolltest. Der Pragmatismus der Tagespolitik schiebt sich gerade in solch einer Funktion vor das so dringend nötige Nachdenken darüber, wie unsere Welt denn nun eigentlich aussehen sollte. Und gerade das war dir doch immer besonders wichtig. Vielleicht aber warst du auch ein wenig verletzt von all den Schlachten, die du zu schlagen hattest, wolltest dir ein wenig Ruhe und Raum gönnen, die du ganz sicher zeitweilig sehr vermisst hast.
Lieber Lothar, heute wirst du nun 60 und wieder werden dich viele Menschen umlagern, um dir ihre Wertschätzung kundzutun. Und das hast du natürlich verdient, auch wenn dir der Rummel wieder ein bisschen peinlich sein sollte. Vielleicht gibt es zum Trost ja Kartoffelsuppe... Es ist doch sehr wichtig, dass es nicht nur Politiker gibt in der Politik!
Danke für alles!
Lass dir gratulieren und sei
umarmt von deinem
Andreas Dresen


Andreas Dresen, geboren 1963 in Gera, studierte von 1986 bis 1991 Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg. 1990 bis 1992 Meisterschüler von Günter Reisch an der Akademie der Künste. Seit 1992 Drehbuchautor und Regisseur, neben Film und Fernsehen auch Theaterarbeiten. Seit 1998 Mitglied der Akademie der Künste. Spielfilme u.a. »Stilles Land« (1992), »Nachtgestalten« (1998), »Die Polizistin« (2000)
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