Im Keller der Diktatur

Junta von Marco Bechis

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
Dies ist ein Film über das Foltern und Töten. In Argentinien verschwanden 1976 bis 1982 bis zu 30000 Menschen. 1998 hat ein hoher Militär ausgesagt, wo sie geblieben sind. Nach Monaten in Folterkellern wurden sie mit Frachtmaschinen aufs offene Meer hinausgeflogen und ins Meer geworfen. Marco Bechis zeigt uns mit seinem Film das individuelle Schicksal hinter der Nachricht. Maria wohnt mit ihrer Mutter, einer Italienerin, in einem großem alten Haus in Buenos Aires. Sie geht in die Slums, um den Armen dort Lesen und Schreiben beizubringen. Während der Militärdiktatur gilt das schon als ein Akt der Aufwiegelung. In dem großen alten Haus wohnt auch Felix zur Untermiete, ein scheuer junger Mann, der in einer Autowerkstatt arbeitet. Er ist in Maria verliebt. Eines Morgens wird Maria von einer Gruppe Geheimpolizisten abgeholt. Niemand kann der Mutter sagen, wo ihre Tochter geblieben ist. Die örtliche Polizei zuckt mit den Schultern und argentinische Freunde haben Angst vorm Militär. Über allem liegt Schweigen und auf den Hauptstraßen strömen die Menschen wie immer entlang. Aber hinter einem der Tore, an dem der alltägliche Menschenstrom vorbeiführt, beginnt eine andere Welt. Wie aus E.A. Poes klaustrophobischen Angst-Welten. Eine frühere Autowerkstatt ist zum Foltercamp geworden. In den Kellern werden die Verhafteten mit Elektroschocks gequält. Auch Maria wird hierher gebracht. In der speziell hergerichteten Folterzelle erwartet sie der Spezialist für Elektroschock-Verhöre. Es ist Felix, der scheue junge Untermieter aus ihrem Haus. Nun ist er ganz Herr über sie, ein Sadist, der sich auf der Straße wieder in einen unscheinbaren jungen Mann verwandelt. Maria weiß, dass sie hier niemals lebend herauskommt - es sei denn, es gelänge ihr, Felix dazu zu bringen, ihr zu helfen. Aber das Böse ist auf alltägliche Weise banal. Wie viele von denen, die täglich auf der Straße gleichgültig an uns vorbeigehen, würden ohne zu zögern auch foltern und töten, wenn man es ihnen befehlen und vormachen würde? Diese beklemmende Frage schleicht sich an uns heran und wir werden sie während ganzen Films nicht mehr los. Fast wollen wir nicht glauben, was wir sehen. Haben wir im Sommer 1978 nicht am Fernseher gesessen, von der Fußballweltmeisterschaft in Argentinien fasziniert? Und gleichzeitig quälte und tötete man an versteckten Orten Menschen. Auch etwa 100 Deutsche wurden verschleppt. Unter ihnen Elisabeth Käsemann, die Tochter des Theologen Ernst Käsemann. Sie arbeitete - wie Maria im Film - als Lehrerin in den Slums und hatte Kontakt zu Oppositionsgruppen. Ihr Vater bot den Militärs fünfundzwanzigtausend Dollar für ihre Freilassung an. Für das Geld bekam er die Leiche seiner Tochter. Es ist ein konzentrierter und in seiner nüchternen Detailgenauigkeit beklemmender Film, den man nicht einfach abschüttelt, wenn man das Kino verlässt. Ein Kammerspiel der Angst. Und zugleich ein zeithistorischer Politik-Report über die argentinische Militärdiktatur. Antonella Costa, die Darstellerin der Maria erinnert sich mit Schaudern an die Dreharbeiten im »Operationssaal«, wo sie nackt und frierend auf eine Metallpritsche geschnallt war. Sie sagt darüber: »Mir kam es so vor, als müsste ich vor Kälte erfrieren, nackt, an den Händen gefesselt an einem dreckigem Ort. Aber um mich herum waren Menschen, die das tatsächlich einmal durchgemacht hatten.« Monatelang oder sogar jahrelang. - Die Folterer und Mörder von damals sind heute alle amnestiert.
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