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»Die Neue soll weg«

Frauen werden im Beruf öfter rausgeekelt als Männer/Die Zahlen steigen weiter

  • Nino Ketschagmadse
  • Lesedauer: 4 Min.
Anpöbeln und ausgrenzen: Unter vier »Mobbing«-Opern sind drei Frauen. Wie soll man mit ekligen Kollegen umgehen? Zwei Mobbing-Beraterinnen diskutierten kürzlich in der Friedrich-Ebert-Stiftung über Tipps und Tricks.
Eine 34-jährige Sozialarbeiterin bekommt eine Stelle in einem Berliner Bezirksamt. Dort trifft sie auf eine Gruppe Kollegen, die seit mehr als zehn Jahren zusammenarbeiten und aufeinender eingespielt sind. Das Engagement der Neuen wird mit Unbehagen und Misstrauen beäugt. Nach und nach wird sie ignoriert, notwendige Informationen werden ihr vorenthalten, die daraus resultierenden Irrtümer werden ihr angelastet. Die Betroffene versucht zwei Jahre lang damit umzugehen. Alles schlägt fehl, denn das unausgesprochene Ziel des alt eingesessenen Teams lautete von Anfang an: die zuletzt ins Amt Gekommene soll wieder weg. Mit erschreckend vielen Erlebnissen dieser Art sind die Bücher »Das Hamsterrad. Mobbing - Frauen steigen aus« und »In eigener Sache. Vom Festhalten zum Loslassen in Mobbing-Situationen« der beiden Autorinnen Gabriele Haben und Anette Harms-Böttcher gespickt, die sie kürzlich in der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt haben. Sie wenden sich primär an Frauen, da diese - so die Autorinnen - mehr dazu neigen würden, ihr eigenes Können in Frage zu stellen. Werden sie von ihren Mitarbeitern geschnitten, dann würden sie eher an sich zweifeln als an den anderen. Mobbing kommt aus dem Englischen und bedeutet: jemanden anpöbeln, wegekeln, solange angreifen, bis das Opfer »freiwillig« geht oder gekündigt wird. Es geschieht überall: in Schulen, in Familien, in der Nachbarschaft. Meistens aber im Berufsleben. Mobbing resultiere aus teils unterbewussten und diffusen Gefühlen wie Neid, Angst vor Konkurrenz oder aus der »Sorge« um den Erhalt einer bereits vorhandenen Gruppendynamik. Der Weg der Täter, so die Autorinnen in »Das Hamsterrad«, sei fast immer gleich: die Kollegin in eine Rechtfertigungsposition zu bringen, in Anwesenheit anderer Personen als fachlich unfähig darzustellen, ihr Informationen zu verschweigen, sie auszugrenzen. Frauen werden mit einer 75 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit zu Mobbing-Opfern als ihre männlichen Kollegen. Das fand eine im letzten Sommer von der Dortmunder Sozialforschungsstelle im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vorgelegte Statistik heraus. Unstrittig sei zudem, dass die Zahlen steigen. Die Studie hat gar herausgefunden, dass in Deutschland jeder neunte Beschäftigte in seinem Berufsleben wenigstens einmal gemobbt werde. Betroffen seien 2,7 Prozent der Erwerbstätigen, das sind über 800000 Arbeitnehmer. Nach Berufssparten gegliedert stehen an erster Stelle Sozialarbeiter und Erzieher, gefolgt von Altenpflegern und Verkaufspersonal zum Abschuss frei. In mehr als der Hälfte der Fälle ekeln Vorgesetzte ihre Mitarbeiter selbst hinaus, oder sie sehen tatenlos zu. Kollegen zu mobben, das fällt am leichtesten in eher ungeregelten Arbeitsabläufen, in denen von den Mitarbeitern viel Selbstständigkeit abverlangt wird. Klare Organisationsstrukturen würden dem Problem daher vorbeugen. Da das Mobbing etwas sehr Subtiles ist, fällt es den Opfern oft schwer, das Verhalten der Kollegen konkret zu benennen. Gabriele Haben und Anette Harms-Böttcher, die nicht nur Bücher über das Thema schreiben, sondern seit Jahren spezielle Beratungen für Frauen anbieten, sehen das wachsende Konkurrenzdenken angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen als Hauptursache für die Zunahme der Mobbingfälle. Allerdings sei durch die öffentliche Diskussion des Themas in den vergangenen Jahren auch erst das Bewusstsein dafür geschärft worden. »Die Opfer kommen früher zu uns, als noch vor einigen Jahren«, so Gabriele Haben. Vorschläge zu politischen Lösungen gibt es in ihren Büchern allerdings nicht. Es würde zu lange dauern, bis sich auf dieser Ebene etwas ändere. Stattdessen versuchen die beiden Mobbing-Beraterinnen Wege aufzuzeigen, wie die Opfer das böse Unterfangen frühzeitig erkennen oder dem vorbeugen können. Immerhin können die gesundheitlichen Folgen gravierend sein: von Kopfschmerzen, Kreislauf- und Schlafstörungen über Magenprobleme und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken. Gleich bei den ersten Vorzeichen sollten die Betroffenen daher aktiv werden und beobachten, wer wie daran beteiligt ist, ob es ein klares Motiv gibt und welche Reaktionen die Angriffe auslösen. Sie sollten sich - so der Tipp der Autorinnen - nach Unterstützern umschauen und sich klar machen, wie man mit der Situation umgehen will. Fliehen, nachgeben oder kämpfen? Über vier plakative Stereotypen - »Bettina Bleibtreu«, »Waltraud Wende«, »Tanja Trenner« und »Nancy Neuland« - zeigen die Autorinnen in ihrem Buch »In eigener Sache« auf, wie Entscheidungsfindungen ablaufen könnten. Wichtig sei aber auch, die Kollegen anzusprechen, um herauszufinden, wer welche Rolle spielt. Außerdem solle man direkt auf den mutmaßlichen »Haupt-Mobber« zugehen, um ihm deutlich zu machen, dass man sein Verhalten durchschaut hat und Bereitschaft zum Gespräch signalisieren. Wenn sich keine Verhaltensänderungen einstellen, solle man sich an den Betriebsrat und den Vorgesetzten wenden. Gabriele Haben und Anette Harms-Böttcher: »Das Hamsterrad. Mobbing - Frauen steigen aus«, »In eigener Sache. Vom Festhalten zum Loslassen in Mobbing-Situationen«, Orlanda-Verlag, beide 10 Euro.

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