Verliebt in die Insel

Gabriele Jaskulla: Aus Bielefeld nach Hiddensee

  • Lisa Hertel
  • Lesedauer: 3 Min.
In den »hintersten Winkel« der Republik reist die junge Germanistin Julia aus Bielefeld, um für einen Forschungsauftrag ihrer Universität über einen toten Dichter zu arbeiten. Es wird ihre erste selbstständige Aufgabe nach langen Studienjahren sein, auf die sie sich freut, »wenn auch - im Osten«. Eine kleine Insel in der Ostsee ist es, die zum Schauplatz dieser Geschichte wird, wind- und wettergebeutelt auch in übertragenem Sinne: Hiddensee, seit langem ein Geheimtipp für Künstler der verschiedensten Couleur. So hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch der Dichter Ladestein hier gelebt, in dessen ehemaligem Wohnhaus die junge Frau nun den Nachlass durchforschen will. Kein bedeutender Dramatiker, aber einer, der das besondere Flair der Künstlerkolonie einst mitbestimmt hat. - So weit der Rahmen des Erstlingsromans von Gabriela Jaskulla (Jg. 1962). Dahinein konstruiert die Autorin die Liebesgeschichte ihrer Protagonistin mit dem Tierarzt Hanno Minarek, dem auf der Insel mit dem Verschwinden von LPGs auch die Berufsgrundlage verloren zu gehen droht. Auf dieser Ebene versucht Gabriela Jaskulla, vielfältige Lebensprobleme der Menschen in Ostdeutschland nach der Wende zu thematisieren und eine deutsch-deutsche Beziehung zu beschreiben. Das hat so seine Tücken und Fallen. Denn wenn man das meiste nur vom Hörensagen kennt, liegt die Gefahr nahe, öfter daneben zu langen. Die Autorin lässt kein Klischee aus, was die Bewohner der Ostprovinz betrifft: ob man denn auf DDR-Oberschulen Englischunterricht hatte? »Wohl nicht.« Zu viele Figuren profiliert sie mit Erinnerungen, in denen »die Sicherheit hinter einem her war«. Und die Frauen trugen zu Zeiten alle dieselbe Haarfarbe, denn es gab ja nur eine Sorte von Tönung. Der Gesang der Leute in der Kirche ist gänzlich unzureichend, denn das war ja verboten damals. Und Intelligenzrente bekamen die Privilegierten als einen »Lohnzuschlag«, wenn die genügend »ideologische Kniebeugen« vor dem Staat zu machen wussten. Schade, aber da hört es auf.
Dabei hätte die Autorin das gar nicht nötig gehabt, denn sie kann durchaus angenehm erzählen, ruhig und unaufgeregt. Schön sind Passagen über das mit den Jahreszeiten wechselnde Leben der Vögel auf der Insel, die von Norden nach Süden hier durchziehen. Sie zeigt wirkliches Gespür für die Natur dieser Küstenregion. Anrührend auch die Liebesbegegnungen des Paares. Hier liegen die Stärken des Romans. Und die Autorin weiß mit dessen Bausteinen beherzt umzugehen: Geschichten mit Pferden machen sich immer gut, Pferde sind im Alltag der weitgehend autofreien Insel lebenswichtig. Und als Julia in einer Regen- und Sturmnacht die verletzte Stute Leila rettet, verliebt sie sich gleich noch in den scheinbar groben, galligen Tierarzt, der in Wahrheit ein verletzlicher Mensch ist. Auch später sind es wagemutige Aktionen mit Pferd und Wagen über das brüchig werdende Eis der zugefrorenen See, in denen sich Hanno bewährt und Julia ihm zu Hilfe kommen kann. Es ist eine Liebesgeschichte nicht ohne Hindernisse und Dramatik, aber eine, die gut ausgeht am Ende, als jeder seinen Platz gefunden hat.
Es scheint, die Erzählerin selbst hat sich in die Insel verliebt. Mit einfühlsamem Verständnis beschreibt sie deren Landschaft, diese »uralte Schildkröte«, wie sie im Herbst daliegt unter ihrem Mantel aus Gräsern und Heide, »sanft gewölbt, der Inselrücken ein wenig bucklig von so viel Geschichte«. Natürlich war es 40 Jahre lang eine ostdeutsche Geschichte, aber man sollte nicht nachträglich so vieles verzeichnen. Vielleicht verzichtet sie ja beim nächsten Buch auf solche Missgriffe als Zugeständnis an einen arg naiven Zeitgeist und lässt Dinge, von denen sie nicht genug versteht, beiseite, dann kann es doch bestimmt was werden.

Gabriela Jaskulla: Ostseeliebe. Roman. btb bei Bertelsmann. 348 Seiten, geb., 19,90 EUR.

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