Der Bruch in der Biografie

Franz Fühmann und Walter Jens: zwei Arten mit der NS-Vergangenheit zu leben

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Natürlich, es geht auch um Verhältnismäßigkeit. Frühe Sündenfälle, über deren genaue Gestalt niemand mehr etwas Genaues weiß, einige Aktennotizen aus unsauberer Quelle - dagegen steht Walter Jens Biografie, die eine sehr genaue und nachprüfbare Gestalt hat. Die eines Streiters, eines geistvoll Eigensinnigen, ohne dessen Beträge wir ärmer wären. Also, alles Sensationsmache, Angriff auf einen durch und durch Gerechten? Hinter den selbstgerechten und sensationsheischenden Zeitungs-Schlagzeilen, die morgen vergessen sein werden, verbirgt sich ein Problem: Biografie in der Diktatur. Und da stößt man gleich mehrfach auf den Gestus der ewig Gerechten mit dem »blauen Blick« (Volker Braun), die jeden Selbstzweifel schnell entsorgen. Und Walter Jens? Ich erinnere mich an eine Veranstaltung zu Franz Fühmann, wo der damalige Akademiepräsident in routinierter Rhetorik, die ihrer überredenden Wirkung jederzeit gewiss schien, anhob: »Fühmann und ich«. Der keinen Zweifel an sich aufkommen lassen wollende Rhetorikprofessor sprach über den Dichter Fühmann, der ständig zweifelte. Mehr noch, Fühmann erforschte wie wohl kein anderer die Brüche seines Lebens die großen Irrtümer. Er wollte sich nicht mehr selbst belügen. Fühmann und Jens, beide einmal junge NS-Mitläufer, keine Täter. Fühmann hatte ein Gedicht in der Zeitschrift »Das Reich« veröffentlicht und an das »Dritte Reich« geglaubt. Darüber konnte er sich bis zu seinem Tode immer wieder neu erschrecken. Fühmann war einer, der für leichte Schuld schwer büßte. Weil er selbst es so wollte, weil er nur so, Georg Trakl nachfolgend, weiter leben konnte: Der Wahrheit nachsinnen, viel Schmerz. Und er hat sich in seinen späten Texten oft und mit der ihm eigenen Schonungslosigkeit gefragt, bis wann er denn ein Nazi gewesen sei. War er es noch, als er mit dem Eifer eines frisch zu Stalin Bekehrten aus den Antifa-Schulungen der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte? Jens hat sich so eine Frage wohl bis heute nicht gestellt. Er würde wohl schon die Anmutung energisch zurückweisen, er sei überhaupt jemals ein Nazi gewesen. Und darin liegt eben das Problem. Ein ausgestellter moralischer Rigorismus, der aber die eigenen Irrtümer und biografischen Brüche schnell und mit doppeltem Aufklärungseifer vergessen machen will. Die Rolle von Jens Anfang der 90er Jahre als Akademiepräsident im Umgang mit Ost-Künstlern und deren zwangsläufig gebrochenen Biografien war genau von solch ungebrochener Selbstgewissheit bestimmt. Hätte er doch damals nur anderen zugestanden, was er nun ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt: vor »Aktenwahrheiten« aus schmutzigen Quellen geschützt zu werden. Man stelle sich die Unerbittlichkeit von Jens vor, jemand hätte ihm als Erklärung angeboten, er sei ohne sein Wissen in die Stasi-Kartei geraten! Den Donner stelle man sich vor. Theaterdonner. Und als es die Akademiezeitschrift »Sinn und Form« Anfang der 90er unter ihrem damals noch jungen ostdeutschen Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt in ihrer neuen Freiheit wagte, Tagebuchnotizen Ernst Jüngers zu veröffentlichen, wollte Jens den unliebsamen Chefredakteur im Stile alter Politbürokraten davonjagen. Zwischen Weimar und Potsdam - soll heißen zwischen Demokratie und Militarismus - gebe es keine Brücke, begründete Jens seinen Angriff als Rettung der demokratischen Kultur in »seiner« Zeitschrift. In der Realität gibt es, wie der Fall Jens nun zeigt, aber doch sehr viele Brücken und noch viel mehr verborgene Pfade zwischen scheinbar Unvereinbarem. Es ist ein Ruhmesblatt der ostdeutschen Kulturelite, die mit Ernst Jünger mehrheitlich eher wenig am Hut hatte, dass sie damals diesen dreisten Zensurversuch energisch zurückschlug. Nein, es ist keine Genugtuung, dass es nun einen der selbstgerechten Moralisten trifft, die schlicht »vergessen« haben, dass vielleicht auch sie als junge Studenten einmal über »entartete Kunst« schwadroniert haben. Es geht um etwas ganz anderes. Ohne Sensibilität für die eigenen Verführbarkeiten bleibt alle Rede von Toleranz nur Kathederrede. Fühmann übrigens, als er - zu Recht! - den Geschwister-Scholl-Preis erhielt, erschrak in seinem Glück zutiefst. Er bekam diesen Preis, obwohl jeder wusste, dass er einmal der Partei der Mörder der Geschwister Scholl gefolgt war. Wie so viele andere auch, die es dann schnell vergaßen. Fühmann hat die Brüche in seiner Biografie nie verborgen, nicht um seine (ohnehin geringe) Schuld gefeilscht. Er hat Buße nie von jemandem gefordert, aber er hat sie vorgelebt. Das eben macht ihn so glaubwürdig.

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