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  • Kultur
  • „Ich klage an“, zweiteiliger SAT. 1-Fernsehfilm von Klaus Poche nach einem authentischen Fall aus der DDR

Wie aus dem „Schräubchen“ das Monster wurde

  • PETER HOFF
  • Lesedauer: 4 Min.

„Schicksalsträchtig und nicht weniger spannend geht es hier gleich weiter“, sprach Gaby Papenburg und leitete über auf den Fußball bei SAT.l. Vorangegangen war „Ich klage an“ von Klaus Poche (Buch) und Frank Guthke (Regie), ein zweiteiliger Fernsehfilm nach einem authentischen Fall aus der DDR. 1979 verschwand der damals dreieinhalbjährige Dirk Schiller spurlos. Die Eltern suchen nach dem Kind, das offiziell für tot erklärt worden war Als sie sich mit der Bitte um Hilfe auch an westdeutsche Behörden wenden, werden sie denunziert, verhaftet und sitzen danach eineinhalb Jahre im Zuchthaus Bautzen. 1984 dürfen sie in den Westen ausreisen. Der Fall Dirk Schiller ist bis heute ungeklärt.

1987 schreibt die Journalistin Ines Veith über die Mutter

Heidi Schiller eine Reportage, die zum Grundstock für einen Roman („Wo ist Dirk?“) wird, der 1988 erscheint. 1991 sicherte sich UFA-Produzent Norbert Sauer die Verfilmungsrechte an diesem Roman. Zu dieser Zeit beginnt die Medienkampagne zu den „Zwangsadoptionen“ in der DDR. Am 10. Juni 1991 sendet SPIEGEL TV eine Reportage zu diesem Thema. 1992 wird Klaus Poche von UFA und SAT.l mit der Drehbucharbeit beauftragt. Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft gegen Margot Honecker ein Ermittlungsverfahren zu den „Zwangsadoptionen“ eingeleitet. Im Sommer 1993 legt Poche sein Buch vor, von Oktober bis Dezember 1993 laufen die Dreharbeiten, und wenn der Film jetzt, im April 1994, zur Sendung kommt - ist das Ermittlungsverfahren gegen die ehemalige Volksbildungsmini-

sterin eingestellt. Das Thema „Zwangsadoptionen“ hatte sich als Flop erwiesen. Was bleibt: eine „schicksalhafte“ und „spannende“ Geschichte.

Die Werkgeschichte dieses Films ist deshalb interessant, weil sie deutlich werden läßt, wie sehr die Auseinandersetzung mit der „Stasi“ in den Medien Kampagnencharakter trägt und dazu mißbraucht wird, durch die Dämonisierung einer Institution von deren sachlicher Analyse abzulenken. Klaus Poche hat seinem Film ein ernstzunehmendes Nachwort beigegeben: Er wolle dazu anregen und beitragen, Verbrechen aufzuklären, die in diktatorischen Regimen begangen wurden und noch heute ungeklärt sind. Daß dies notwendig ist, wenn wir denn der Geschichte die Funktion zubilligen, daß wir aus ihr Lehren für die Gegenwart und Zukunft

ziehen und Wiederholungen nicht zulassen wollen, ist unbestritten. Doch dazu können Mystifizierungen auch in der Trivialkunst kaum einen brauchbaren Beitrag leisten.

Die „Stasi“ muß bei der wissenschaftlichen Analyse wie bei der Verwendung als Kunstgegenstand von Dämonisierungen freigehalten werden. Und Poche schadet seinem eigenen Anliegen, wenn er bei der fiktiven Weiterführung der Geschichte des Dirk Schiller um der Dramaturgie willen die Analyse der Strukturen (des MfS wie der DDR) unterläßt und ein traditionelles Spieler-Gegenspieler-Modell entwikkelt. Der Personenschützer würde real niemals zum Ermittler. Deshalb hat es ja heute die Justiz so schwer mit der Verfolgung individueller

Schuld in diesem Bereich, weil die Verantwortungen verteilt

waren und bestenfalls Teilhaber an der Schuld festgestellt werden können.

Poche wertet den Oberleutnant Kiefer (Heinz Hoenig), eine niedere Charge in diesem Apparat, zu einer Gestalt auf, die selbst den offenbar hoch angebundenen Rechtsanwalt Dr Mahlmann (Dieter Mann), dessen reales Vorbild immerhin ein Prof. Dr Vogel sein sollte, noch wie ein subalternes Würstchen behandelt. Er hat auf diese Weise zwar eine Figur geschaffen, die am Ende in Vera Färbers (Thekla Carola Wied) anarchischem Alleingang individuell zur Verantwortung gezogen werden kann, aber bei der Dämonisierung des Stasi-Offiziers Kiefer blieb die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) auf der Strekke. Aus dem Schräubchen im Apparat wurde das Monster, und Heinz Hoenig konnte diese

Figur erst in den Schlußszenen des Films demontieren. Thekla Carola Wied zeigte in den Gefägnisszenen die stärksten schauspielerischen Leistungen, also ebenfalls in den Momenten der tiefsten Erniedrigung.

Poches Weiterführung der Geschichte, Vera Färbers Jagd auf Kiefer ebenso wie die Motivation, die er für den Kindesraub fand, war wirkungsvoll und erfüllte die Genreanforderungen des Thrillers; seine erklärte Absicht, Aufklärungsarbeit zu leisten, konnte sie freilich nicht bedienen. Aufklärung verlangt vor der Emotionalisierung die nüchterne Analyse. Die blieb der Film trotz einer Fülle realistischer Details (vor allem auch in der herausragenden Kameraarbeit von Martin Schlesinger) schuldig. Es ging „schicksalsträchtig und spannend“ zu

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