- Kultur
- BIOGRAPHIE: GENERAL KORFES
Deutsche Brüche
Ungewöhnlich war der Lebensweg des Generals Otto Korfes. 1909 zog der Pastorensohn des Königs Rock an, nach dem ersten Weltkrieg, in dem er vom ersten Tag an der Front gestanden hatte, zog er ihn aus. Auch in Zivil verbrachte er die längste Zeit seines Lebens in Reih und Glied. Nach einem Studium in Berlin war er in einer getarnten Einrichtung des verbotenen Großen Generalstabes, dem Reichsarchiv, mit der Aufbereitung der Erfahrungen des ersten Weltkrieges befaßt. 1933,zog pt,to f ,Kqrfes, wje„der einflußreichste Tei{ ..der wirtschaftlichen, politischen undmilitärischen Oberschicht, unter dem Banner der „Stahlhelmer“ auf.
Als sein Schwager, der Generalstäbler Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, 1944 im Hof des Bendlerblocks zu Berlin an der Seite von Stauffenberg erschossen wurde, befand sich der inzwischen zum Generalmajor und Divisionskommandeur aufgestiegene Otto Korfes bereits hinter Stacheldraht. Er gehörte zu den wenigen Überlebenden der 6. Armee, die eine verbrecherische politische und unfähige militärische Führung in Stalingrad verbluten, verhungern, erfrieren ließ. Die Behandlung als Kriegsgefangener in der Sowjetunion und vor allem die Gespräche mit deutschen Antifaschisten, unter ihnen Anton Ackermann, Wilhelm Pieck, Erich Weinert und Theodor Plivier (der in seinem großen Stalingradroman im General Gönnern den Generalmajor Korfes porträtierte), ließen ihn und andere Schicksalsgefährten das Erfahrene neu durchdenken. Dabei war Korfes eine Ausnahmeerscheinung: Staatsbürger, Soldat und Denker in einem. Nach gründlicher Gewissensprüfung reihte sich Korfes in die Front der antifaschistischen Kämpfer ein, darin einem Seydlitz, Paulus, Einsiedel oder einem Stefan Heym, Gerhard Leo, Harald Hauser, um nur einige Namen zu nennen, gleich.
Neben Dokumenten aus deutschen und russischen Archiven stützte sich die Verfasserin vor allem auf die in der Familie schriftlich und mündlich überlieferten Zeitzeugnisse, wenngleich diese große Lücken aufweisen. Beschlagnahmte doch die Gestapo nach
Sigrid Wegner-Korfes: Weimar - Stalingrad - Berlin. Das Leben des deutschen Generals Otto Korfes. Verlag der Nation, Bayreuth 1994. 271 S., geb., 48 DM.
der gegen Frau Gudrun Korfes und weitere Familienangehörige verhängten Sippenhaft zahlreiche Unterlagen, die seitdem verschollen sind. Gudrun Korfes kehrte erst nach Überwindung der ersten Nachkriegsschwierigkeiten im Frühherbst 1945 zu ihren fünf Töchtern zurück. Nach insgesamt sechseinhalb Jahren sah die Familie auch Otto Korfes wieder, der seit 1948 politisch in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, wissenschaftlich beim Aufbau des Archiv- und Museumswesens der DDR, forschend und publizierend wirkte. Von 1952 an trug er wiederum Uniform, die der Kasernierten Volkspolizei, deren Historische Abteilung er aufbaute.
Noch beeindruckender als der äußere Lebensrahmen
sind die inneren Entwicklungen, Wandlungen, Kontinuitäten und Brüche. Manche Episode der Biographie liest man mit tiefer innerer Rührung, manches auch schmunzelnd, so wenn Eugen Varga in einer Vorlesung vor deutschen Kriegsgefangenen, unter denen Korfes sitzt, eine frühe wissenschaftliche Arbeit des Generals ins Spiel bringt.
Das Buch, unpathetisch und liebevoll, sachlich, voller Verständnis und Anteilnahme von der ältesten Tochter des Generals geschrieben, die gleich ihm sich der Geschichtswissenschaft verschrieb, vermittelt Respekt vor dem Leben eines Mannes, der viel gewagt, viel erduldet und manches verfehlt hat und den widrige Zeitumstände hinderten, all seine Ideen zu verwirklichen.
Ein Letztes: Hätte das Buch nicht treffender Potsdam - Stalingrad - Berlin heißen sollen, denn der Weg nach Stalingrad begann (nicht nur für Otto Korfes) in Potsdam, wo er 1945 auch folgerichtig endete?
GERD KAISER
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