In Russland ist der 23.Februar ein Feiertag. In Tschetschenien erinnert man sich an die Deportation von vor 60 Jahren.
Der 23.Februar war als Tag der Sowjetarmee schon im Kommunismus eine Art Männertag, an dem die Arbeit liegen blieb. Putin zog vor zwei Jahren die Konsequenzen und machte ihn als »Tag der Verteidiger des Vaterlandes« offiziell arbeitsfrei.
Die Tschetschenen verbinden mit dem Datum nicht erst seit dem Krieg, der mit kurzen Unterbrechungen bereits zehn Jahre dauert, weniger Ruhmreiches: Auf den Tag genau vor sechzig Jahren wurden sie und vier weitere Völker des Nordkaukasus von Stalin kollektiv nach Kasachstan und Zentralasien verbannt. Gut die Hälfte kam dabei um: Beim Transport in ungeheizten Viehwagen, durch Hunger und Kälte vor Ort. Offiziell wurde ihnen Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht vorgeworfen, die 1943 bis zum Elbrus vordrang, wo heute die Grenze zwischen Russland und Georgien verläuft. In Wahrheit war die Deportation ein Racheakt für Aufstände der Bergvölker gegen die Sowjetmacht, der letzte wurde 1940 blutig niedergeschlagen.
Schon Zar Alexander II erwog Mitte des 19.Jahrhunderts, als die Bergvölker Teile des Nordkaukasus von Russland kurzzeitig zurückerobert und dort einen islamischen Staat errichtet hatten, die Deportation der rebellierenden Ethnien in die osmanische Türkei: Tschetschenen, Tscherkessen und die dagestanischen Awaren, die dem Plan durch Massenflucht jedoch zuvorkamen.
Bis heute zählt die kaukasische Diaspora in der Osttürkei und im Nahen Osten acht bis zehn Millionen Menschen und hat dort großen Einfluss auf Wirtschaft und Politik. Vor allem dieser Klientel entstammen auch die »Araber«, die heute auf Seiten der tschetschenischen Separatisten kämpfen und laut offizieller Darstellung Moskaus deren Steuerung durch den internationalen Terrorismus beweisen. Auch Stalin unterschied 1943/44 bei der Deportation zwischen schlechten und guten Kaukasiern: Osseten und Kabardiner, die schon unter den Zaren als »Russenknechte« galten, oder die dagestanischen Awaren und Darginer, die sich nach der Oktoberrevolution mit der Sowjetmacht arrangierten und nach der Deportation der »Schlechten« deren Land bekamen.
Der Nordkaukasus ist mit bis zu 100 Einwohner pro qkm die am dichtesten besiedelte Region Russlands, fruchtbares Land aber so knapp, dass dagestanische Bergbauern bis heute jedes Jahr auf dem eigenen Rücken in Weidenkörben Erde vom Fluss auf ihre oft nur handtuchgroßen Terrassenfelder an den Berghängen schleppen. Gegenseitige Gebietsansprüche werden durch Kampf um die knappen Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region weiter verschärft, junge Männer nehmen daher gern einen Job in den halblegalen paramilitärischen nationalen Bewegungen an, die durch Diskriminierung der Kaukasier außerhalb der Region zunehmend radikaler werden. Um das Ausmaß des Problems zu verharmlosen, werden Terroranschläge wie es sie übrigens bis zum Beginn von Moskaus Krieg in Tschetschenien dort nicht gab, offiziell den Separatisten angelastet. Obwohl die Ermittlungen zunehmend in andere nordkaukasische Teilrepubliken führen. Um zu verhindern, dass der Tschetschenienkonflikt zum Flächenbrand eskaliert, wäre Moskau daher mit einem realen Friedensplan gut beraten, wie ihn Exparlamentschef Ruslan Chasbulatow, selbst ein Tschetschene und Präsidentschaftskandidat Iwan Rybkin schon vor zwei Jahren mit Separatistenchef Aslan Maschadow aushandelten. Der Plan, den auch der Europarat unterstützt, sieht, wie in Bosnien oder in Kosovo, die Stationierung von UN-Friedenstruppen in Tschetschenien vor, die den Abzug russischer Truppen und die gleichzeitige Entwaffnung aller tschetschenischen Formationen überwachen. Eine aus wirklich freien Wahlen hervorgegangene Regierung soll dann mit Moskau einen Vertrag zur Teilung der Kompetenzen aushandeln, der Tschetschenien reale innere Autonomie einräumt.