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Mit Instagram für den Rechtsstaat
Die deutsche Justiz will ihre Arbeit vor allem jungen Menschen näherbringen
Es gibt nur wenige, noch passendere Orte als die Gedenkstätte Buchenwald, um über die gesellschaftliche Verantwortung der Justiz nachzudenken. Während der Zeit des Nationalsozialismus waren immerhin auch zahlreiche Richter daran beteiligt, Menschen in Konzentrationslager zu schicken, die diese allzu oft nicht überlebten. Menschen wie Wilhelm Billotin zum Beispiel, der auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen der SS und der NS-Justiz als »Sicherungsverwahrter« Ende 1942 ins KZ Buchenwald eingewiesen worden war. Er galt als »Volksschädling«, weil er Vorstrafen wegen Diebstahls hatte. Nach seiner vierjährigen Dienstzeit als Soldat im Ersten Weltkrieg hatte er nicht mehr in ein geordnetes Leben zurückgefunden. Nur etwa ein halbes Jahr überlebte Billotin in Buchenwald. Im Juli 1943 starb er in dem Lager bei Weimar an den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Also besuchen die Präsidentinnen und Präsidenten der verschiedenen deutschen Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs während ihrer dieses Mal in Weimar stattfinden Jahrestagung genau diese Gedenkstätte. Auch mit dem Ziel, einen noch klareren Blick dafür zu bekommen, wie nötig es ist, die »Resilienz des Rechtsstaats« zu stärken, von der auf dieser Tagung immer wieder die Rede ist.
»Wir brauchen den Rechtsstaat, wir brauchen unabhängige Richterinnen und Richter für den Rechtsstaat«, sagt am Ende des Treffens zum Beispiel die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, Stefanie Otte. »Und spätestens jetzt ist es Zeit zu schauen, sind wir eigentlich geschützt?« Wichtig sei, »den Zeitpunkt nicht zu verpassen«, zu dem es noch möglich sei, all jenen Widerstand zu leisten, die die Unabhängigkeit der Justiz am liebsten ebenso beseitigen würden wie die im Grundgesetz garantierte Ordnung insgesamt.
Dass insbesondere Rechtsextremisten und Rechtspopulisten wie sie sich zum Beispiel in den Reihen der AfD tummeln, keine Gelegenheit auslassen, Zweifel daran zu sähen, dass die Justiz in Deutschland heute – anders als in früheren Jahrzehnten – tatsächlich unabhängig ist, das ist diesen deutschen Spitzenjuristen freilich ebenso wenig verborgen geblieben wie die anderen Methoden, die Verfassungsfeinde zu nutzen versuchen, um diese Säule der demokratischen Gesellschaft zu Fall zu bringen. Dazu gehört der Versuch von Rechtsextremisten und -populisten, über die klassische Juristenausbildung in deutsche Gerichtssäle zu kommen, ebenso wie die Aufforderungen an Menschen mit den entsprechenden Weltbildern, sich als Schöffen zu bewerben. »Zum Teil sind die angekommen«, sagt der Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Jörg Müller. Immerhin sei es auch schon gelungen, solche Menschen wieder aus ihrem Amt als Laienrichter zu entfernen, wenn sich bei ihnen herausgestellt habe, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.
»Resilienz von Gerichten hat viel mit Akzeptanz von Rechtsfindungen zu tun.«
Stefanie Otte Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle
Neben derartigen und ähnlichen Maßnahmen, die sich gegen extremistische Schöffen ebenso richten können wie gegen Staatsanwälte oder Richter, die sich nach ihrer Einstellung als Verfassungsfeinde zeigen, wollen die Präsidentinnen und Präsidenten in Zukunft aber noch auf ein ganz anderes Mittel setzen, um den Rechtsstaat resilienter, also widerstandsfähiger zu machen: auf die sozialen Medien – und damit auf jene Kommunikationsform, die den Aufstieg von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten nicht nur in Deutschland und Europa, sondern so ziemlich überall auf der Welt maßgeblich befeuert hat.
»Resilienz von Gerichten hat viel mit Akzeptanz von Rechtsfindungen zu tun«, sagt Otte. »Da sind wir in den Gerichten gefordert, den Menschen zu erklären, was wir machen und warum wir das machen, und warum der Rechtsstaat nicht nur ein theoretisches Konstrukt ist.« Vor allem, wenn es darum gehe, jungen Menschen dies klarzumachen, komme man nicht umhin, dass entweder Gerichte als Institutionen oder auch einzelne Richter dort präsent seien, wo junge Menschen eben einen großen Teil ihrer Zeit verbringen, also zum Beispiel bei Instagram oder Tiktok. »Wir tanzen dort nicht, auch wenn wir’s könnten«, sagt Müller. Auch ohne derartige Einlagen aber müssten Gerichte oder Juristen zeigen, welch große Relevanz sie für den Alltag von Menschen in Deutschland hätten, dass sie nahbar seien.
Müller selbst ist seit inzwischen etwa drei Jahren in den sozialen Medien aktiv, ist sogar Ko-Host des Jura-Podcasts »Samt vs. Seide«, in dem es eher weniger um juristische Fachthemen geht als vielmehr um Dinge, die auch Laien am Recht interessieren: Können nur Reiche Gerichtsverfahren gewinnen? Wie ist das mit dem Lügen vor Gericht? Was bedeutet es, wenn jemand eine Bewährungsstrafe erhält?
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In dieser Zeit, sagt Müller, habe er überwiegend positive Erfahrungen dort gesammelt, auch wenn es natürlich eine Herausforderung sei, mit den Menschen zu interagieren, die sich seine Äußerungen dort anhören. »Es gibt viel weniger Shitstorms, als man glaubt«, sagt Müller. Und so mancher aufgebrachte User beruhige sich ohnehin von ganz alleine wieder.
Ausgerechnet die gastgebende Institution – das Thüringer Oberlandesgericht mit Sitz in Jena – allerdings ist, was die Präsenz in den sozialen Medien angeht, noch ziemlich hinten dran, hat nicht mal einen eigenen Instagram-Account. Immerhin: Der Präsident dieses Gerichts, Thomas Schneider, verspricht, an dieser digitalen Stelle nachzubessern, sobald die Personalsituation es erlaube. Auch das freilich ist eine Thema, das alle Gerichtsspitzen in Deutschland intensiv beschäftigt.
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