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  • Kultur
  • MICHAEL JACKSON hat sein Verfallsdatum überschritten

Gärtner von „Neverlana zum Bock gemacht

  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Jackson mit Ehefrau Lisa Marie Presley Foto: dpa

Michael Jackson ist tot. Nicht physisch zwar, doch hat das Bild des ewig kindlichen, sensiblen und menschenscheuen Wunderknaben endgültig ausgedient. Der Musiker war Comic-Figur, eine, die immer sauber bleibt und als Wandbehang in Zimmern präpubertärer Besserwisser auch von noch so konservativen Eltern geduldet worden war. Doch der Gärtner von „Neverland“, jener 2 700 Morgen großen Ranch, auf der Jackson sein millionenteures Einsiedlerleben führt, wurde zum Bock gemacht.

Als Anfang des Jahres Spekulationen laut wurden, Jackson könnte sich an Minderjährigen sexuell vergangen haben, brach sein Image. Die Vorwürfe wogen schwer, und ob juristisch schuldig oder nicht: Von der Öffentlichkeit stigmatisiert, mußte der Megastar von vorne anfangen, aus seinem Anwesen an die Öffentlichkeit treten. Alles an ihm, ob seine chirurgischen Schönheitsoperationen, die ihn von Mal zu Mal weißer werden ließen, seine Vorliebe für Tiere, die Liebe zu Kindern oder der obligatorische und bei Jackson nie anrüchig wirkende Griff zwischen die Beine, all das mußte in Frage gestellt werden. Behauptungen wie die im Interview mit Talkmasterin Oprah Winfrey, seine Haut sei aufgrund einer Pigmenterkrankung so weiß, konnten da auch nicht mehr helfen.

Das asexuelle Fabelwesen Jackson muß nunmehr das werden, was er einst wohl auch einmal war: Ein normaler Mensch. Bestes Mittel dazu: Eine Heirat. Lisa Marie Presley, die Tochter des verstorbenen

Elvis Presley, war da gerade gut genug. Vor wenigen Wochen heirateten die mit Sicherheit nicht als Traumpaar zu bezeichnenden Berühmtheiten in der Dominikanischen Republik. In aller Stille.

Nun muß eine Prominenten-Ehe nicht zwangsläufig Garantie für jene „gutbürgerliche Moral“ sein, die in letzter Zeit in den USA an Bigotterie noch zugelegt hat. Was John Lennon mit Yoko Ono einst ungeniert vor der Kamera tat, bringt heute eine Madonna in die Schlagzeilen. Doch Michael Jackson und seine Lisa Marie haben einen Beweis für ihr züchtiges Leben: Frau Presley junior gehört der Scientology-Sekte an, und Gatte Michael wohl bald auch. So behaupten es zumindest böse Zungen. Jackson, der ehemalige Zeuge Jehovas und zum Islam Übergetretene, ein durch Heirat missionierter Scientologe? Nun, warum nicht, immerhin hat auch ein Tom Cruise sein Seelenheil in der Sekte gefunden, nachdem Äußerungen über seine angebliche Homosexualität laut wurden. Auch John Travolta eilte in die Sekte, als verlautete, der tanzende Schauspieler bevorzuge Männer. Und was für Vermutungen über Michael Jacksons Liebesleben losgelassen wurden, schreit geradezu nach einem Eintritt in den Kühlschrank der Gerüchteküche.

Michael Jackson hat es über Jahre erfolgreich verstanden, seine Auftritte, Platten und Aktionen ohne politischen Anstrich zu lassen. Selbst das „Heal The World“-Projekt für eine bessere Welt blieb so farblos, daß niemand sich daran reiben konnte. Jetzt ändert der

Megastar seine Strategie und spielt sich in seinem neuesten Video als Befreier des Ostens auf. Der für sein um die Weihnachtszeit erscheinendes neues Album „History“ produzierte Kurzfilm zeigt Jackson als Kämpfer in einer namenlosen osteuropäischen Stadt, in der er ohne Blutvergießen tausende von Sowjetsoldaten niedertanzt. Daß weltweit darauf mit Gelächter reagiert wird, ist wohl eben so gewollt wie letztlich unverständlich: Als die Pet Shop Boys mit ihrem „Go West“-Clip Sowjetsoldaten tanzend und surfend in den Westen lockten, störte das niemanden. Auch Paul McCartney, Ex-Beatle und nicht minder schwer verdienend als Jackson, äußerte unangefochten den Verdacht, Beatles-Songs hätten mehr zur „Befreiung“ des Ostens beigetra-

gen als westliche Politik. So macht sich jeder seiner kleinen Hybris schuldig, warum also nicht auch ein Michael Jackson.

Mancher unterstellt ihm schlicht Dummheit, ein anderer erkennt Geschäftsgeist. Jackson verfügt über beide Gaben genug. Ein drittes und dieser Tage häufig vergessenes Talent kommt hinzu: Als Komponist und Interpret trägt Jackson seine Lorbeeren durchaus zu Recht. Spätestens mit „Thriller“, seinem 45-Millionen-Bestseller, etablierte Jackson die ihm eigene Mischung aus Soul, Disco und Rock. Mit „Bad“ und „Dangerous“ folgten zwei durchgestylte Pop-Platten, deren Singles ebenfalls allesamt Hits wurden.

Finanziell wird es ihm wohl nie so richtig elend gehen; immerhin brachte Töchterchen Presley gleich die Rechte an den Songs ihres Dads mit in die Ehe. Die an den Beatles-Songs hatte er ja schon vorher erworben. Sein geschätzter Kontostand von 150 Millionen US-Dollar bringt sicher auch nette Zinsen.

So ist der schrullige Star nun auf einmal kein „Moonwalker“, kein „Captain Eo“ und auch kein Peter Pan in „Neverland“ mehr. Er ist ein Möchtegern-Held und vertreibt schon lange nicht mehr anwesende böse, kinderfressende Russen aus imaginären Ostländern. Wahrscheinlich, weil er sie im einzelnen gar nicht kennt. Er heiratet und tritt mit der ebenso langweiligen wie gefährlichen Scientology Church in Verbindung. Der alte Michael Jackson ist tot. Es lebe der neue.

THOMAS BLESKIN

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