Abschiedsblicke

Letzte Ballettpremiere in Meiningen: »1001 Nacht«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Ballettsterben an deutschen Bühnen geht in seine nächste Runde. Kampfring ist diesmal Meiningen, die einstige Residenzstadt in Thüringens Süden. Auf die Frage, was ab der nächsten Saison mit seinem Hausballett sei, weiß Intendant Res Bosshart eine klare Antwort: Es gebe dann keins mehr, Geras Compagnie gastiere mit einem Stück, wahrscheinlich dem »Sommernachtstraum«, in acht Vorstellungen am Südthüringischen Staatstheater. Für die folgenden Spielzeiten könne er sich auch andere Gastensembles denken. Welche Art von Tanz der einstige Kampnagel-Chef präferiere? »Was ich im Tanz liebe, kann ich hier nicht machen«, meint er inhaltsdunkel, spricht dann von Vielfalt, einfallsreicher Choreografie ohne Festlegung auf ein Vokabular und dass er Handlungsballett möge. »Ich mache Theater für die Region, mit Umstellungen, an die sich die Zuschauer gewöhnen werden«, lautet lapidar sein Credo. Eine jener Umstellungen dürfte das - teils mit EU-Geldern finanzierte - Festival »Junge Hunde« sein, das er im Juni aus der Kampnagel-Fabrik in Hamburg nach Meiningen transferierte und das mittlerweile im zehnten Jahrgang Nachwuchskünstlern aller Genres, auch im Tanz, Chancen bietet. Dass in Meiningen gerade das Ballett den größten Zuschauerzuwachs verzeichnet hat und auch Xin Peng Wangs jüngste Premiere »1001 Nacht« sämtliche Reprisen vor ausverkauftem Haus zeigt, im Gegenteil zu mancher Produktion anderer Sparten, tut da wenig zur Sache. Nachdem die von der Kulturpolitik angestrebte, von Bosshart in ein Konzept gegossene Kooperation mit dem Eisenacher Theater vorerst gescheitert ist, weil Eisenachs OB der Nichtverlängerung »seiner« Tänzer nicht zustimmen mochte, sitzen Eisenach mit Ballett, Orchester und einem Dutzend Sängern, Meiningen künftighin mit Schauspiel und Oper auf dem Trockenen. Dabei hatte Bossharts Zukunftsentwurf dem Tanz, wie er ihn mag, eine leuchtende Perspektive gewiesen. Ein komfortables Tanzzentrum sollte ab Herbst in der mit Sponsorengeldern umgebauten früheren Mälzerei zu Eisenach entstehen, 15 Tänzer hätten dort ihre Wirkungsstätte und ihr Auskommen gehabt, fünf von ihnen allerdings wären nur aus den derzeitigen Ensembles in Eisenach und Meiningen übernommen worden. Denn mit der Ästhetik der Eisenacher Ballettdirektorin Sabine Pechuel habe Bosshart »Schwierigkeiten«. Die bleiben nun bestehen. Als »Hahnenkampf« kommentiert Bosshart seinerseits das Tauziehen zwischen den beiden Theaterträgern, der Kulturstiftung in Meiningen und der Theater GmbH in Eisenach. Meiningens chinesischer Ballettchef hat derweil längst dem Werben der Meininger Ex-Intendantin Christine Mielitz nach Dortmund stattgegeben, seine Thüringer Tänzer zerstieben in alle Winde, und das Georgie's Off, die einst so frequentierte kleine Zweitspielstätte direkt neben dem eigentlichen Musentempel, liegt bald verwaist. Rund 30 Vorstellungen bot Meiningens Ballett bislang pro Jahr. Womit Bosshart ab der neuen Saison an den restlichen 22 nicht durch Gastspiele abgedeckten Abenden sein herzögliches Haus füllen möchte, hat er im Gespräch nicht gesagt. Man hätte dem von der Thüringer Ballett-Landkarte auf Politikerwunsch nächstens getilgten Ensemble zum Abschluss einen veritablen Erfolg gewünscht. Zuschauerseitig ist der zwar eingetroffen, künstlerisch jedoch nicht. Dem Anspruch, den sich Xin Peng Wang als Librettist stellte, konnte der mental bereits auf Dortmund-Flucht befindliche Choreograf offenbar nicht mehr entsprechen. Seine »Scheherazade«-Version siedelt die Geschichte in der Gegenwart an, macht aus dem Sultan einen drogensüchtigen Mädchenhändler und Mörder in Schwarz, der seines Wesirs Tochter begehrt. Die jedoch zieht ihm den sanften Prinzen in reinem Weiß vor. Ihre unverbrüchliche Treue bezahlen die Liebenden am Ende mit dem Leben. Was wie ein deftiger Krimi klingt und nach dramatischer Bühnenaktion lechzt, erweist sich auf einer leergefegten Szene eher als symfonische Fantasie denn als Handlungsballett. Wang lässt bloße Schemen aufscheinen statt blutvoller Charaktere, die sich in emotionaler Verstrickung begegnen. Den Zauber jenes Pseudoorients, den Nikolai Rimski-Korsakow in seiner sinnlichen Komposition beschwört und dem Maurice Ravels ergänzend eingefügter Liederzyklus zusätzliche Akzente beifügt - in der Choreografie wie auf der Szene sucht man ihn vergebens. Wacker spurten die 14 Tänzer, erweitert um acht Komparsen, durch ihr Allerweltsmaterial, finden im kurzen zweiten Teil zu auch räumlich furioserem Tanz. Ragt aus dem Ensemble der junge Pavel Roudov als sympathischer Wesir mit wirbelnden Sprungtricks hervor, so ist die Wirkung der Berliner Gastballerina Nicole Siepert in der Titelpartie wohl mehr ihrer Persönlichkeit als der choreografischen Vorgabe zu danken. Dem trauervollen Untergang des Liebespaares mischen sich Schmerz und Zorn über einen wohl endgültigen Abschied bei. Nächste Vorstellungen: 28.3. und 9.4.

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