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Immer wieder die heile , seligmachende Familie

Fernsehen pflegt weiter die traditionellen Geschlechterrollen

  • Lesedauer: 5 Min.

Als 1975 der Politologe Erich Küchenhoff die damals erste Studie zum Frauenbild in den elektronischen Medien vorlegte, kam er zu dem Schluß: „Männer handeln, Frauen kommen (auch) vor.“ Viel hat sich in den zwei Jahrzehnten bis heute nicht geändert, erkannte MONIKA WEIDERER von der Universität Regensburg. Sie hat die 600 Sendungen einer Woche von ARD, ZDF und RTL komplett analysiert; die Ergebnisse liegen jetzt in Buchform vor. Wie handeln Männer heute, und wie kommen Frauen im attraktivsten Medium Fernsehen vor?

Es ist leider immer noch das herkömmliche Rollenverhalten, das den Zuschauerinnen und Zuschauern angeboten wird. Die Frau taucht vorrangig in der Hausfrau- und Mutterrolle auf und dabei zurückhaltend und passiv Bei RTL ist sie auch als Sex-Frau präsent. Männer im Fernsehen, das sind die dominanten Machertypen, die immer aktiv und zum Teil aggressiv sind. Bei beiden Geschlechtern gibt es auch Ausreißerrollen. Das sind jedoch die Ausnahmen.

Können Sie einige Beispiele nennen?

Bei einer typischen Männerrolle fällt mir der Knight Rider ein auf RTL. Da wird nichts versteckt oder subtil vermittelt, hier agiert der klassische Macho. Bei Frauenbildern stehen doch schon differenziertere Muster im Vordergrund, zum Beispiel bei der Ehefrau des Landarztes. Sie ist eine berufstätige, moderne Frau, die aber immer wieder durch Menschen, die sie umgeben, auf ihre Pflichten in Haushalt und Familie hingewiesen wird. Beim Landarzt selbst geschieht das nicht. Bei ihm ist klar, der Beruf ist das wichtigste in seinem Leben.

Ihre Analyse hat offenbar ergeben, daß Frauen nicht mehr nur die braven Mütterchen sind. Was hat sich nach Ihren Erkenntnissen geändert?

Die reale Entwicklung kann das Fernsehen nicht völlig ignorieren. Die Hälfte der Frauen in den von mir untersuchten Sendungen ist berufstätig. Heiraten hat nicht die automatische Konsequenz, daß der Beruf aufgegeben wird. Das gab es früher nicht.

Schauen wir in die Dokumentär- und Nachrichtensendungen, sehen wir' Sprecherinnen und Moderatorinnen. Das war 1975 völlig anders. Herr Kopeke, alteingesessener Tagesschau-Sprecher, hat damals noch gesagt, daß er sjch eine Frau in dieser Funktion überhaupt nicht vorstellen

könne, da sie sich für eine sachliche Informationssendung nicht eigne.

Allerdings werden frauenspezifische Themen und Probleme in den Dokumentarfilmen mit 1,5 Prozent und in Nachrichten mit unter ein Prozent fast gar nicht widergespiegelt.

Neuerdings wird nicht mehr nur über Frauenbilder gesprochen, sondern auch die Notwendigkeit hervorgehoben, daß sich auch Männer ändern müssen. Fanden Sie dafür Ansatzpunkte?

Noch statischer als das Bild der Frauen ist das der Männer Der Mann ist häufig zum Helden verdammt, hat immer aktiv und konsequent zu sein. Viele Männer werden in den Hauptdarstellern der Fernsehsendungen keine männlichen Identifikationsfiguren finden, nicht mal welche, die Anlaß zu ernsthafter Auseinandersetzung geben könnten.

Könnte es nicht auch sein, daß die Fernsehmacher dichter dran an der Realität sind als Kritikerinnen und Kritiker wahrhaben wollen? In den meisten soziologischen Umfragen rangieren Kinder und Familie ganz weit oben.

Ich beobachte, daß Frauen im Alltag weit mehr Alternativen leben, als im Fernsehen nachvollziehbar ist. Das große Problem, das ich sehe, ist die Verdrängung von Belastungen, die Frauen wegschleppen müssen. Zum Beispiel kommt das Thema Frauenarmut kaum vor. Die immer wieder vorgespielte heile, alle seligmachende Familie hat wenig mit Realität zu tun. In der „Lindenstraße“ wird versucht, nahe am Alltag dranzubleiben. Aber bei der Sendung habe ich den Eindruck, daß die Probleme so massiv hineingepackt werden, daß sie im anderen Extrem wieder an der Realität vorbeigehen.

Realität hin, Realität her. Vielleicht wollen die Menschen dann, wenn sie den Fernseher einschalten, bewußt den Alltag abschalten. Nicht umsonst sind die vielen nervtötenden Vorabendserien, die Quiz- und Unterhal-

tungssendungen oft auf ältere Frauen ausgerichtet. Mit Erfolg.

Es ist richtig, aus der Medienforschung ist bekannt, daß ein Teil des Publikums mit dem Knopfdruck aus der Wirklichkeit fliehen möchte. „Forsthaus Falkenau“ ist ein gutes Beispiel dafür Aber gerade die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben neben der Unterhaltung auch die Aufgabe, zu bilden und zu informieren. Insofern stehen sie in der Pflicht, sich aus der Tradition zu lösen und nicht immer nur ähnliche Lebensmodelle darzustellen und zu gestalten. Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen immer nur die gleichen Muster zeigt, kommt es nicht seinem Auftrag nach, sich an alle Menschen zu wenden.

Eines dieser Muster ist Heterosexualität. Ist Ihnen etwas aufgefallen, was dieser Heterozentriertheit entgegensteht?

Nein, nicht eine Sendung wich davon ab.

Haben Sie diese immer noch eindeutig verteilten Geschlechterrollen auch in den Kindersendungen gefunden?

Zum Teil sogar noch krasser als in den Sendungen für Erwachsene. Das Schlimmste war der Zeichentrickfilm Popeye, in dem sich zwei Männer um die Frau Olivia streiten. In ihrem Kampf schlagen sie der Olivia abwechselnd mit Keulen auf den Kopf. Popeye gewinnt, und Olivia gibt sich mit den Worten hin: „Schlag mich, ich bin dein.“

Sie erwähnten im Zusammenhang mit RTL die sogenannte Sex-Frau. Hat diese Frauengestalt emanzipatorische Züge durch die Darstellung selbstbestimmter Sexualität?

Nie. Dieses Wesen ist jung, gutaussehend, für Männer immer verfügbar, sein ganzer Lebensinhalt besteht aus Sex. In diesen Filmen geht es nicht um die reale Sexualität von Frauen, sondern um männliche Wunschvorstellungen.

Haben Sie Resonanz auf ihre Studie erfahren?

Ich habe Einladungen zu Fernsehinterviews und Diskussionen erhalten, aber nicht von den untersuchten Stationen. Gegen Kritik sind die Sendemacher, die in den leitenden Positionen fast durchweg Männer sind, erstaunlich resistent.

Interview: ALMUTH NEHRING

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