Sinnentstellende Fehler

Streit um das Erbe von Agnoli zwischen Erben und Verlag

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Politologe Johannes Agnoli gehörte zu einem wichtigen Stichwortgeber der Studentenbewegung in Westdeutschland. Mit seinem Standardweg »Transformation der Demokratie«, das schon Mitte der 60er Jahre veröffentlicht wurde, hat Agnoli Maßstäbe für eine linke Parlamentarismuskritik gesetzt. Daran hielt er allerdings auch fest, als viele ehemalige Apo-Veteranen schon längst in den Parlamenten saßen. In einer 1990 wieder aufgelegten Fassung von »Transformation der Demokratie« hatte Agnoli ein Nachwort geschrieben, wo er die Aktualität seiner Parlamentarismuskritik angesichts der Entwicklung der Grünen bekräftigte. Das Buch war damals im kleinen linken Freiburger Ça-Ira-Verlag in einer Auflage von 3000 Exemplaren erschienen. In den 70er Jahren waren seine Bücher noch in Zehntausender Auflage in großen Verlagen veröffentlicht worden. Im Ça-Ira-Verlag sind auch weitere Schriften von Agnoli erschienen. Doch jetzt hat ein Rechtsstreit zwischen dem Verlag und Agnolis Witwe das Berliner Landgericht beschäftigt. Barbara Agnoli wollte mit einer Einstweiligen Verfügung erreichen, dass der Freiburger Verlag das von dem Wiener Politologen Stefan Grigat herausgebene Buch »Transformation des Postnazismus« zurückzieht. Es enthält einen Agnoli-Text, der auf einen Vortrag im April 2001 in Wien basiert. Nach Angaben von Frau Agnoli ist der Text ohne Zustimmung ihres Mannes in das Buch gekommen und enthalte sinnentstellende Fehler. Der Lektor des Ça-Ira-Verlages Joachim Bruhn versicherte in einer Eidesstattlichen Erklärung, dass Agnoli sich nicht »der Kategorie Autor« entsprechend verhalten habe. Er habe Vertrauen zu dem Verlag gehabt und daher in der Regel nicht auf die Beglaubigung jedes Wortes in den Aufsätzen bestanden. Zudem habe er nicht wie gedruckt geschrieben. Die Veröffentlichung von Agnoli-Reden hätte immer eine immense Lektoratsarbeit erforderlich gemacht. Sowohl Joachim Bruhns als auch der Verlagseigentümer Manfred Dahlmann betonten vor dem Landgericht, dass ihre Verlagsarbeit vor allem politische Zwecke habe. »Der Verlag stellte sich die Aufgabe, neben aktueller Polemik und Kritik Literatur zu den Grundlagen der Kritischen Theorie und des Marxschen Denkens zu publizieren«. Ökonomisch sei der Verlag ein Zuschussgeschäft gewesen. Er sei nur durch Spenden von Freunden und ehrenamtliche Arbeit am Leben gehalten worden, versichern Dahlmann und Bruhns. Auch wenn die Klägerin die Einstweilige Verfügung zurückgezogen hat, wird der politische Streit um Agnolis Erbe weitergehen. Denn die Betreiber des Ça-Ira-Verlages stehen dem antideutschen Spektrum nahe. Dort wurde beispielsweise die Besetzung Iraks durch die USA als Kampf gegen den Baathismus und islamischen Faschismus gerechtfertigt. Das sei nicht das richtige Umfeld für den Nachlass ihres Mannes, meint Frau Agnoli. »Der Kontext, auf den der Vortrag in diesem Buchprojekt zurechtgestutzt wurde, entspricht nicht Agnolis politischem Denken und Handeln«, schreibt sie über das von Grigat herausgegebene Buch. So werde dort in antideutscher Diktion die palästinensische Bevölkerung als »Kollektiv von Selbstmordattentätern und Moslemfaschisten« bezeichnet. Agnoli hingegen sei ein entschiedener Gegner des Irak-Krieges gewesen. Auch der Volksbegriff ist zwischen beiden Seiten strittig. Während Stefan Grigat in einem Aufsatz über die Parole »Wir sind das Volk« schreibt: »Das Volk ist nichts anderes als der sich selbst zum Maßstab setzende nationalistische Mob«, habe sich Agnoli immer positiv auf den Volksbegriff bezogen. Agnolis Schriften sind zu großen Teilen auch heute noch sehr aktuell. Daher ist es besonders schade, dass »Transformation der Demokratie« nicht mehr im Handel erhältlich ist.
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