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Auf der Spur von Mulas und Camellos

  • LEO BURGHARDT, Havanna
  • Lesedauer: 6 Min.

Der in Kuba wegen Beteiligung an Drogenschmuggel verurteilte Jürgen Peter Abendroth unterschreibt das Protokoll über die Verbrennung des beschlagnahmten Kokains Foto: DNA

Die US-amerikanische Nachrichtenagentur UPI am 11. November 1993:

„Das Bezirksgericht von Havanna hat Mitglieder eines kubanisch-ausländischen Drogenhändlerrings, der Kuba als Trampolin zum Weitertransport der Ware nach Europa benutzte, zu Strafen bis zu 15 Jahren verurteilt. 15 Jahre erhielten der Kubaner Jose Tomas Flgueredo, 12 der Deutsche Jürgen Peter Abendroth, fünf die Kolumbianerin Sandra Cecilia Palomino und sieben die Kubaner Ines Maria Perez und Jose Isabel Fondön. Der Fall wurde aufgerollt, nachdem Palomino am 11. April '93 mit 8,3 Kilogramm kolumbianischen Kokains auf dem Flughafen des Badeorts Varadero abgefangen wurde. Die Drogen sollten in der Wohnung von Figueredo und seiner Ehefrau Perez deponiert werden, um sie im passenden Moment Abendroth auszuhändigen. Der Deutsche gab sich als Musikwissenschaftler aus, der afrokubanische Kultmusik studiert. Kopf der Bande Ist ein Kubaner mit deutschem Paß: Juan Llanes, er besitzt Ländereien im Kolumbien.“

Gonzales führt eine Videokassette vor: Abendroth, mit Zopf und dunkler Brille, zeigt, wie man einen Koffer für mulas (Maultiere) und camellos (Kamele), die Kuriere also, präpariert. Flache Päckchen, gut handtellergroß, werden im doppelten Boden versteckt, der mit demselben Material abgedeckt ist, aus dem das Kofferfutter besteht. Festgeklebt mit Spray-Leim. Nachdem Wäschestücke und andere unverdächtige Dinge darübergepackt sind, wird der Koffer verschlossen und mit Anti-Spürhund-Spray eingesprüht.

Dennoch, von 1970 bis Mitte dieses Jahres sind den kuba-

nischen Drogenjägern 457 internationale mulas ins Netz gegangen. 82 Sportschnellboote, 81 Kleinflugzeuge, 129 Tonnen Marihuana und 10 Tonnen Kokain wurden beschlagnahmt. In Anwesenheit einer Kontrollkommission müssen die Schmuggler ihre Ware selbst verbrennen.

Abendroth sitzt seit seiner Verurteilung im Combinado del Este, wo das bestenfalls mittelmäßige Essen seinen ständigen Unmut hervorruft. „Die anderen waren und sind härter“, sagt ein junger Leutnant lakonisch. Die anderen? Mulas aus 25 Nationen saßen und sitzen in Kuba ein - Nordamerikaner, Kubaner, die in den USA leben, Kolumbianer, Jamaikaner, Haitianer, Dominikaner und Bermudaner.

Sie können also von sich sagen, daß Sie eine ganze Reihe von internationalen Ringen zerschlagen haben?

Gonzales: Nein, das können wir leider nicht. Ein internationales Netz völlig ausheben zu wollen ist utopisch. Die Capos sind außerordentlich flexibel. Wir können immer wieder nur Glieder herauslösen. Wenn in Kuba mulas auffliegen, bedeutet das nicht, daß die Mafia uns abschreibt. Wir können ihr das Geschäft unerträglich schwer machen, das ja. und da überlegen sie sich dann, ob sie nicht besser vorübergehend auf eine andere Route ausweichen. Aber sieben Monate nachdem wir die von UPI erwähnten Kuriere gefaßt und ihre. Methode,,bloßgelegt ,,.' hatten, versuchten es andere auf dieselbe Tour.

¥n jüngster Zeit werden die ?'?meisten Kuriere auf den Flughäfen abgefangen. Zuvor lagen die Hauptfanggebiete im Norden der Provinzen Camagüey, Villa Clara, Ciego de Avila und Holgufn. Der Großen Insel Kuba (la isla grande) ist in diesen Regionen ein Archipel aus Inselchen und ein Gewirr

meist schmaler, flacher Kanäle vorgelagert, in denen sich allein Sportboote bewegen können. Für Drogenschmuggler ein ideales Operationsgebiet. Die kleinen Flugzeuge nähern sich ihm nachts in maximal 200 Meter Höhe, ohne Positionslichter, und werfen ihre Ladungen in ein vereinbartes Planquadrat, am liebsten in den Alten Bahamas-Kanal südlich von Cayo Guinchos. Das ist außerhalb der kubanischen Hoheitsgewässer, doch sehr nahe. Die Schnellboote, die auf der Lauer liegen, preschen heran, fischen die mit Leuchtstoff imprägnierten Pakete auf und machen kehrt in Richtung Florida.

So sieht das Drehbuch aus, wenn alles gut geht, und neuerdings geht es fast immer gut, da die Drogenschmuggler mit allermodernsten Geräten ausgerüstet sind, die es ihnen so- ? gar ermöglichen, Orientierungshilfen per Satellit zu empfangen. Die von der DNA ermittelten Abweichungen vom Zielgebiet liegen heutzutage bei durchschnittlich 20 Metern. Es geht kaum Stoff verloren, der in die kubanischen Cayos oder direkt an die Küste geschwemmt würde. Es kann aber der Fall eintreten, daß die Schmuggler von Kommandos

des US-amerikanischen Küstenschutzes oder der Drogenbehörde der USA (DEA) lokalisiert und verfolgt werden. Dann gibt es nur eine Rettung: Waren über Bord! Denn die USA-Justiz kann lediglich Anklage erheben, wenn die Drogen „am Mann“ entdeckt werden. Dennoch: Handelt es sich um Delinquenten, die auch ohne Ware mit Unannehmlichkeiten rechnen müssen, versuchen sie, in den kubanischen Cayos unterzutauchen, bis die Luft rein ist. Da treten die kubanischen Grenztruppen und die DNA in Aktion.

Wie klappt eigentlich die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden? Die USA müßten doch brennend daran interessiert sein, mit Kuba zu kooperieren.

? Gonzäles:-Bis jetzt existiert allein eine Verbindung zwi-' sehen dem Küstenschutz in Miami und unseren Grenztruppen. Über diesen Kanal erhalten wir ab und zu Informationen über Operationen der Mafia, die wir dann gemeinsam vereiteln können. Daß beide Staaten noch kein diesbezügliches Abkommen unterzeichnet haben, gehört zur Blockade gegen Kuba: keine Verträge, nichts Offizielles.

Washington nimmt lieber in Kauf, daß die Bevölkerung Schaden nimmt, anstatt wenigstens in diesem Bereich mit uns zusammenzuarbeiten:-Die kubanische Regierung hat unzählige Male erklärt: Wir'sind bereit, mit jedem Land Verträge gegen den illegalen Drogenhandel abzuschließen, auch mit den USA. Aber die haben das einfach ignoriert. Keine Antwort.

Gut, es gibt Kontakte auch zur DEA, aber eben nur lose, vertraglich nicht vertiefte. Aber wir informieren, übermitteln Tips, stellen ihnen Drogenproben zur Verfügung, die auf die Herkunft der Ware schließen lassen, wir sind jedem Ersuchen nachgegangen. Doch Abkommen - nein, obgleich wir wissen, daß die Profis der DEA mit Freuden eins unterschreiben würden.

Wissen Sie, wohin die Schwemmware geht? Wie sieht das mit dem Inneren Drogenmarkt aus?

Gonzales: Was angeschwemmt wird, wird zu 99 Prozent aufgefischt und vernichtet. Grenztruppen, Küstenbewohner und Fischer arbeiten ausgezeichnet zusammen. Was nicht in unsere Hände fällt, versuchen die kubani-

schen Dealer vorzugsweise an Ausländer abzusetzen.

Am 7 Oktober 1958, ein paar Monate vor dem Sieg der Revolution, hatte das Oberkommando der Rebellenarmee mit der Unterschrift Fidel Castros bereits das Dekret Nr. 6 für die befreiten Gebiete in Umlaufgesetzt. Es untersagte den Anbau von Drogenpflanzen in Kuba handelt es sich da ausschließlich um eine schlechte Sorte Marihuana - den Drogenhandel und den Drogenkonsum. Drogen wurden hier in Kuba auch vorher nicht exzessiv konsumiert, das Laster wurde nie kultiviert. Ab 1959 setzten wir dann alles durch, was dem Griff nach der Droge entgegenwirkt: Arbeit für alle, unentgeltliche Bildung, unentgeltliches Gesundheitswesen, Breitensport, die Beseitigung der Slums usw. Später, in den 60er, 70er Jahren, als es in vielen Ländern zu einer wahren Drogenexplosion kam, hatten wir es bei uns glücklicherweise vorwiegend mit Ausländern aus den sozialistischen Staaten zu tun, die das Zeug nicht einschleppten und auch niemandem den Mund wäßrig machten.

Heute ist der Konsum zwar nicht gleich Null, aber im Vergleich zu anderen Ländern noch unerheblich. Es wird Marihuana geraucht, ein paar Leute schnupfen Kokain, das ihnen Ausländer zustecken, und das sind ja inzwischen Hunderttausende: Touristen. Geschäftsleute, Durchreisende. 1993 hatten wir 320 Gerichtsverfahren in dieser Materie, für 377 Personen endeten sie mit Verurteilungen, unter den Angeklagten waren auch Kubaner. Aber wir haben noch keine Abhängigen, keine Süchtigen.

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