Der Nahe Osten gewinnt für Europa „Sex-Appeal“
Treffen von Unternehmen aus beiden Regionen in Kairo / Ägypten sieht in Maghreb-Union zweites Standbein
Von JÜRGEN GA UBITZ. Kairo
Spätestens seit dem großen Wirtschaftstreffen im marokkanischen Casablanca hat in den arabischen Staaten die Diskussion über die wirtschaftlichen Perspektiven der Region stark zugenommen. Die Auseinandersetzung wird kontrovers geführt. In Casablanca hatten sich die Israelis weitaus besser vorbereitet gezeigt als die Araber, die Tagung blieb ohne konkrete Ergebnisse. Jetzt bringt ein von der EU initiiertes Treffen in Kairo Unternehmer aus Europa und Nahost direkt - die staatliche Seite bleibt außen vor - zusammen, um Geschäftsbeziehungen zu knüpfen, die über den Erfolg des Friedensprozesses mitentscheiden.
Trotz des Mangels konkreter Beschlüsse hatte Casablanca deutlich gemacht, daß je weiter der Friedensprozeß im Nahen Osten vorankommt, desto mehr auch neue Formen des ökonomischen Miteinanders sich herausbilden werden. Das Handicap der Araber ist dabei, daß ihre Wirtschaftsbeziehungen untereinander nur wenig ins Gewicht fallen, was nicht zuletzt den anhaltenden politischen Querelen geschuldet ist.
Hieraus resultiert auch die oft geäußerte Angst vor einer israelischen Dominanz.
Ägypten hat jetzt die „Flucht nach Westen“ angetreten und um Aufnahme in die Union der Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien, Mauretanien und Libyen) gebeten. Vorangegangen waren der Kollaps des Arabischen Kooperationsrates nach der irakischen Kuwait-Invasion, die Ende vergangenen Jahres fehlgeschla-
genen Versuche, der PTA, einer ökonomischen Gruppierung ost- und südafrikanischer Staaten, beizutreten sowie das inzwischen offen eingestandene Scheitern der Bemühungen um Anbindung an den Golf-Kooperationsrat. Kairo ist auf Partnersuche. Und die Maghreb-Union bietet sich insofern an, weil sie eindeutig ökonomisch ausgerichtet ist und daher - zumindest sehen das ägyptische Experten so von politischen Differenzen weniger erschüttert wird. Hinzu kommt, daß man nicht den Anschluß an die sich abzeichnende Entwicklung verlieren will. So ist auch die Betonung der Brückenfunktion Ägyptens zwischen dem Nahen Osten und Nordafrika zu verstehen.
In diesem Zusammenhang kommt den Ägyptern die Initiative der Europäischen Union gerade recht, Ge-
schäftsleute vom alten Kontinent und dem Nahen Osten zusammenzubringen mit dem Ziel, direkte Geschäftskontakte anzubahnen. Die EU sieht offenbar die Zeit gekommen, ungeachtet vieler noch bestehender Hindernisse und der noch nicht dauerhaft sicheren Lage konkrete Schritte zu tun, um auf diesem Zukunftsmarkt Fuß zu fassen. Bei dem in dieser Woche in Kairo stattfindenden „Partenariat“ gehe es im Unterschied zu Casablanca ausschließlich um Geschäfte, betonte Michael McGeever von der Europäischen Kommission. 1 200 Firmen aus Europa, Jordanien, Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und Ägypten haben zwei Tage lang die Chance, direkt Beziehungen zu knüpfen. Es ist von 15 000 bilateralen Gesprächen die Rede. Interesse haben auch Geschäftsleute
aus den arabischen Golfstaaten angemeldet.
Für Peter Göpfrich, Chef der Deutsch-Arabischen Handelskammer, hat die Region für Europas Geschäftsleute an „Sex-Appeal“ gewonnen. Die beteiligten Staaten werden von den Europäern offenbar als eine Art Hinterhof gesehen, in dem Waren, die nicht unbedingt High-Tech erfordern, günstig zu produzieren sind. Ob das von den Betreffenden ebenso gesehen wird, sei dahingestellt. Daß jedoch direkte Kontakte von Unternehmern die besten Erfolgsaussichten haben, meint auch Nabil Fahmi, Berater im ägyptischen Außenministerium. Beschränkungen soll es nicht geben. Wer die besten Ideen hat, soll die besten Geschäfte machen. Und wenn das israelische Firmen sind, sollte niemand jammern, lassen die Organisatoren wissen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.