Die verlogene Gleichheit der Toten

Mehr als nur eine Frage von Ehre und Ehrungen: Costermano - ein deutscher Soldatenfriedhof in Italien

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.
Hans Schmidt ist tot, »gefallen«. Vor 60 Jahren. Seine Gebeine liegen in italienischer Erde. Neben denen von 21950 anderen Deutschen auf dem Soldatenfriedhof in Costermano bei Verona. Einmal im Jahr, wenn Volkstrauertag ist, kommen deutsche Diplomaten und Leute von der Kriegsgräberfürsorge. Sie legen mit ernster Miene Blumen nieder. Auch für Hans Schmidt. Und das ärgert Eva Watschkow. Sie ist eine geborene Schmidt, die Tochter des toten Soldaten, den sie nur von einigen wenigen Bildern kennt - und von Erzählungen italienischer Partisanen.

Die Geschichte.

Hans Schmidt, Jahrgang 1914, geboren in Berlin, war keiner von denen, die Hitler - ob willig oder verblendet - hinterherliefen. Er kam aus der linken Jugendbewegung, dort lernte er seine Frau, Eva Watschkows Mutter, kennen. Beide mochten die Natur und Musik über alles, Hans spielte Klavier, Chopin ebenso wie Beethoven, und als Görings Polizei ihn als SAJ-Mitglied und Widerstandsgeist verhaftete, kostete ihn das neben ein paar Wochen Gestapo-Haft einen Zahn. 1939 zog man den jungen Mann ein zur Wehrmacht. Er marschierte durch Frankreich, war in Tunis, als Rommel geschlagen war, diente er als Luftwaffen-Funker auf Sizilien, machte nun schon als Feldwebel den Rückzug mit bis Neapel. Sein letzter Stationierungsort war eine »Villa Rosso«, ein stattliches Haus nahe dem Dorfe Albinea in der Reggio Emilia.
Und da geschah es. Hans Schmidt, der den Krieg inzwischen in all seinen ekelhaften Facetten hassen gelernt hatte, suchte den Kontakt zu den Partisanen. Er fand ihn. Gemeinsam verabredete man, den deutschen Funkstützpunkt zu übernehmen. Schmidt war keineswegs ein Abenteurer. Er hatte einen zweiten Feldwebel und drei weitere Soldaten auf seiner Seite. Doch die Sache ging schief. Ein englischer Luftangriff zur falschen Zeit am falschen Ort verhinderte die Aktion. Verrat war im Spiel. Die Partisanen rieten zur Flucht, Schmidt und die anderen wollten einen zweiten Versuch wagen.
Dazu kam es nicht. Am 26. August 1944 wurde Hans Schmidt erschossen, Feldwebel Erwin Bucher, er kam aus der Nürnberger Gegend, kam bei der Flucht um, die drei anderen - Obergefreiter Karl-Heinz Schreyer aus Berlin, Obergefreiter Erwin Schlünder aus Iserlohn und Obergefreiter Martin Koch aus Brake-Lippe, alle knapp über 20 Jahre alt - erschossen Kameraden standrechtlich am Folgetag. Bekannt ist der Name des kommandierenden Offiziers, der »kurzen Prozess« mit den »Verrätern« gemacht hatte. Es gibt einen Brief an Schmidts Frau, den nun Eva Watschkow besitzt. Der Oberleutnant schrieb ihn voller Ekel und Abscheu. Es war August 1944, bis zum Ende den Regimes brauchte es noch neun Monate.
Dorfbewohner begruben die fünf auf dem kleinen Friedhof der Gemeinde. Der Pfarrer hatte den Mut, ihre Namen auf die Tafeln zu schreiben. Irgendwann nach dem Kriege beschloss man, die überall in Norditalien verstreuten deutschen Soldatengräber unter Leitung und Verantwortung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge in großen Grabanlagen zu vereinen. So kamen auch die fünf widerständischen Soldaten aus der »Villa Rosso« nach Costermano. Und dort liegen sie noch immer - neben Mördern. Neben Massenmördern. Das hat unter anderem seine Ursache in der nach dem Zweiten Weltkrieg aufkommenden West-Ost-Auseinandersetzung. 1955, als es um die Mitgliedschaft in der NATO und die Wiederbewaffnung Deutschlands ging, verlangten ehemalige Kriegsherren eine Art Absolution für alle Soldaten - ganz gleich in welcher Waffengattung oder Einheit sie gekämpft haben. Im selben Jahr unterzeichnete die Bundesrepublik ein Kriegsgräberabkommen mit Italien. Friedhöfe wie der in Costermano waren so auch ein Teppich des Schweigens, den man über das neue Bündnis legte. Und damit ja nichts aufgerührt werden kann, was diese neue Freundschaft gefährden könnte, verbarg die italienische Justiz nahezu alle bisherigen Ermittlungsergebnisse über deutsche Kriegsverbrechen in einem - wie es heute heißt - »Schrank der Schande«.

Die Gegenwart.

Die Gegenwart begann an jenem Tage, da der damalige bundesdeutsche Generalkonsul in Mailand, Manfred Steinkühler, sich vehement weigerte, sein Haupt vor allen auf diesem Friedhof Bestatteten zu neigen. Steinkühler hatte herausgefunden, dass in Costermano Massenmörder bestattet sind. Drei Namen waren es, deren Nennung noch immer in ganz Europa Erschrecken hervorruft: SS-Sturmbannführer Christian Wirth, SS-Hauptsturmführer Franz Reichleitner, SS-Untersturmführer Gotthard Schwarz. Hinter Wirths Namen stehen Tatorte wie Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim, Belzec, Sobibor, Treblinka, San Sabba. Im besetzten Polen unterstanden Wirth insgesamt vier Vernichtungslager. Reichleitner »wirkte« in Sobibor, Schwarz mordete zuvor unter anderem in Bernburg und Grafeneck. Die Namen haben mit dem Euthanasie-Programm, T 4 genannt, und mit der »Aktion Reinhard« zu tun, bei denen es um die Vernichtung so genannten nichtlebenswerten Lebens und die Ermordung hunderttausender Juden ging. Die Reinhard-Leute wüteten in fünf Distrikten des »Generalgouvernements«. Zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 fielen ihnen über zwei Millionen Juden und über 50000 Sinti und Roma zum Opfer. Nachdem die drei Erfahrungen im Osten Europas gesammelt hatten, schickte sie deren Chef, Odilo Globocnik, der 1904 in Triest geboren worden war, zum »Aufräumen« in die »Operationszone Adriatisches Küstenland«. Vom 20. Oktober bis zum Frühjahr 1944 wurden im KZ Riseria di San Sabba, einer ehemaligen Reismühle bei Triest, 25000 Juden und Partisanen gequält und bis zu 4000 durch Erschießen und in Gaswagen umgebracht.
Am 26. Mai 1944 töteten Partisanen SS-Wirth in Erpelle. Auch die anderen entkamen nicht. Konsul Steinkühler lief Sturm dagegen, dass diese Mörderbande wie gewöhnliche Soldaten behandelt und alljährlich von offizieller deutscher Seite geehrt werde. Das hatte Wirkung. Man stellte Steinkühler kalt. Auch Joschka Fischer, der grüne Außenminister, beließ Steinkühlers zahlreiche mahnende und um Umkehr bittende Briefe auf »Unterabteilungsleiterebene«. Also abweisen. Als Steinkühler mit dem WDR einen Film über Costermano drehte, mokierte sich der Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber der zuständigen Chefredakteurin und bezeichnet die drei Massenmörder verharmlosend als »Mitglieder der Waffen-SS«.
Nur eines hat der Volksbund auf sanften Druck von oben veranlasst: Die Namen der drei erkannten Massenmörder wurden aus dem eisernen »Ehrenbuch«, das in der »Ehrenhalle« von Costermano ausliegt, herausgeschliffen.
Die Zukunft?
Eva Watschkow ist diese Art von »Geschichtsschliff« nicht genug. Sie ist mit Listen des »Einsatzkommandos Reinhard« über das riesige Friedhofsareal gelaufen, verglich Namen und Dienstgrade. Und sie hatte zudem Listen mit den Kommandeuren der 16. SS-Panzergrenadierdivision »Reichsführer SS« dabei, die nicht von ungefähr »Himmlers rasendes Kommando« genannt wurde. Rasend vor Treue brachte diese Division binnen zweier Monate im Frühsommer 1944 über 2500 italienische Zivilisten um. Die Übereinstimmungen, die Eva Watschkow so wie seriöse Historiker auf dem Friedhof feststellten, bereiteten Übelkeit. Um die zehn weitere Mittäter aus der »Aktion Reinhard« konnten mit ziemlicher Sicherheit identifiziert werden. Hätten das die Experten des Volksbundes oder Abgesandte des Fischer-Amtes nicht schon seit Jahren selbst schaffen können?
Keine Genugtuung bereiten Auskünfte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der aus dem Etat des von Joschka Fischer geleiteten Auswärtigen Amtes gespeist wird. Der Volksbund-Sprecher stöhnt, als er Costermano hört: »Was nur sollen wir machen? Exhumieren können wir die ja wohl nicht! Das sind Gefallene, nach den rechtlichen Grundlagen behandeln wir die Leute als Soldaten, sie waren Angehörige von SS-Verbänden insofern sind sie Kriegstote Es gibt keine Gewissensprüfung nach dem Tod.« Und dann sagt der Mann noch einen wahrlich entlarvenden Satz: »Es ist doch egal, auf welchen Soldatenfriedhof Sie gehen, über die Ehre der Leute, die dort liegen, wissen Sie doch nichts!«
Fragt sich, warum der Volksbund dennoch so viel Wert legt auf »Ehre«, »Ehrenbücher«, »ehrendes Gedenken«. Es finden sich auch so schon allzu viele »Kameraden«, die in Treue fest unterm Trommelschlag Transparente hochhalten: »Ruhm und Ehre den gefallenen Helden«.


Vor einigen Wochen erhielten Reinhard Führer, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), sowie Bundespräsident Johannes Rau (Schirmherr des VDK) und Bundesaußenminister Joschka Fischer - die beiden Letztgenannten zur Kenntnisnahme - einen Offenen Brief zum Thema Costermano. Er ist unbeantwortet. Auszüge: »Angesichts der widersprüchlichen Schicksale und der unterschiedlichen individuellen Verantwortung und Schuld scheint jede Form einer pauschalen "Ehrung" verlogen. Deswegen bitten wir Sie, solche "Ehrenbücher" zu entfernen. Bei Kritik an Costermano pflegt der Volksbund auf eine Gedenktafel hinzuweisen, die dort 1992 angebracht wurde und mit der "der Opfer des Krieges, des Unrechts und der Verfolgung" gedacht wird... Sie sollte durch eine neue Inschrift ersetzt werden, die das erlittene Unrecht benennt. Wir schlagen folgenden Text vor:
NIE WIEDER KRIEG

Auf diesem Friedhof sind einige Verantwortliche der Judenvernichtung in Europa und der Tötung von Schwachen und Kranken beerdigt. Wir gedenken ihrer Opfer. Wir gedenken auch der Männer, Frauen und Kinder, die in Italien von den deutschen Besatzern ermordet wurden, und der hunderttausende italienischer Zivilisten und Soldaten, die unter unmenschlichen Bedingungen in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten oder in den Konzentrationslagern starben. Auf diesem Friedhof liegen auch deutsche Soldaten, die den nationalsozialistischen Krieg ablehnten. Sie wurden als Verräter oder Deserteure von der Wehrmacht erschossen. Einige hatten mit den italienischen Partisanen weitergekämpft. Sie alle werden wir dankbar in Erinnerung behalten. Falls der Volksbund eine solche Tafel auf dem Friedhof von Costermano nicht anbringen möchte, haben wir als deutsch-italienische Bürgerinitiative vor, sie in beiden Sprachen vor dem Friedhof aufzustellen.« Der Offene Brief wurde inzwischen von rund 300 Unterstützern unterzeichnet. Vor allem in Italien findet er Beachtung.

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