- Politik
- USA
Charlie Kirk: Rätselraten über den Täter
Nach den Schüssen auf Charlie Kirk fährt die US-amerikanische Rechte eine Kampagne gegen Demokraten, Linke und Antifaschisten
»Wir haben ihn«, sagte der Gouverneur des US-Bundesstaats Utah Spencer Cox am Freitagmorgen (Ortszeit). Der Tatverdächtige, der den rechtsextremen Aktivisten der Trump-Bewegung »Make America Great Again« (MAGA) Charlie Kirk zwei Tage zuvor bei einer öffentlichen Veranstaltung erschossen haben soll und 33 Stunden später festgenommen worden war, heißt Tyler R., ist 22 Jahre alt, bei keiner Partei registriert, ohne Vorstrafen und in einer konservativen Republikaner-Familie aufgewachsen. Man gehe davon aus, dass er ein Einzeltäter sei, so Cox. Der Verdächtige befindet sich nun in Untersuchungshaft und soll am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt werden.
Der entscheidende Tipp für die Festnahme soll aus der eigenen Familie gekommen sein. Laut Cox wandte sich ein Mitglied an einen Freund. Dieser habe dem Büro eines Sheriffs die Information weitergegeben, dass Tyler R. seine Täterschaft angedeutet habe. Außerdem soll der Vater seinen Sohn auf Fahndungsfotos identifiziert und ihn dann mithilfe eines Pastors überzeugt haben, sich zu stellen. Einem Familienmitglied zufolge sei Tyler R. in den vergangenen Jahren »politischer geworden«, sagte Cox. Charlie Kirk und dessen Ansichten soll er abgelehnt haben. Details beziehungsweise Erkenntnisse zur möglichen Motivation gab der Gouverneur jedoch nicht bekannt.
Kurz nach Bekanntwerden des Attentats waren bereits Reaktionen von rechts wie von links gefolgt. Wie immer zuvor verurteilten Demokraten und Linke Gewaltanwendung gegen politische Gegner als unmoralisch, unproduktiv und gefährlich. Einer der ersten, der seine drei Millionen Online-Anhänger dazu aufforderte, sich in Moderation zu üben sowie provokante und hämische Kommentare zu unterlassen, war der linke Influencer und Podcaster Hasan Piker. Nahezu alle prominenten Persönlichkeiten und Gruppen der Linken verurteilten die Tötung von Kirk, auch wenn sie dessen Ansichten ablehnten.
Entsprechend äußerten sich innerhalb von Stunden etwa Senator Bernie Sanders aus Vermont, die Abgeordnete Ilhan Omar aus Minnesota und der New Yorker Bürgermeisterkandidat Zohran Mamdani wie auch Autoren und Autorinnen linker Publikationen wie »Jacobin« oder »The Nation« bis hin zu Aktivistengruppen wie Public Citizen, MoveOn, der ACLU und Indivisible. Hasan Piker kam am Samstag in der »New York Times« zu Wort und beschrieb »den Horror, wenn man mit ansehen muss, wie ein Bekannter – kein Freund oder Verbündeter, sondern ein Mensch, den ich persönlich kenne und mit dem ich debattiert habe – einer Welle von zunehmender politischer Gewalt zum Opfer fällt«. Piker und Kirk hätten in zwei Wochen an einer Universität im nördlichen Bundestaat New Hampshire eine öffentliche Debatte austragen sollen.
»Die Rechtsradikalen sind oft radikal, weil sie gegen Kriminalität sind. Das Problem sind die Linksradikalen«.
Donald Trump Präsident der USA
Doch die dominierende politische Formation in den USA, die Rechtsextremen an der Regierung und ihre Anhänger, trommelten unmittelbar nach dem Attentat für das Gegenteil. Sowohl in sozialen Medien wie im politischen Umfeld von Trump überwogen Anschuldigungen, die »Linke« sei für die Tat verantwortlich. Prominente rechte Accounts bezeichneten die Demokratische Partei als »eine inländische Terrororganisation« und erklärten ihr den »KRIEG«. Elon Musk schrieb: »Die Linke ist die Partei des Mordes.« Präsident Donald Trump machte »die radikale Linke« für die Schüsse verantwortlich und gelobte, »jeden Einzelnen zu finden, der zu dieser Gräueltat beigetragen hat, und auch zu anderer politischer Gewalt – einschließlich der Organisationen, die sie finanzieren und unterstützen, ebenso wie jene, die unsere Richter, Strafverfolgungsbeamten und alle anderen angreifen, die für Ordnung in unserem Land sorgen«.
Noch bevor Informationen über den Schützen bekannt waren, griffen auch die Medien das Thema auf. Das »Wall Street Journal« behauptete, dass »Munition mit Gravuren von transgender- und antifaschistischer Ideologie im Gewehr gefunden worden sei, das die Behörden mit dem Attentat auf Kirk in Verbindung bringen«. Dutzende von Bombendrohungen gingen gegen demokratische Politiker*innen, vor allem Schwarze Abgeordnete, sowie gegen historisch Schwarze Colleges und Universitäten ein.
Über das Wochenende wurden dann nur wenige neue Erkenntnisse über Tyler R. verbreitet. Spekuliert wurde dennoch, dass er sehr viel Zeit im Internet verbracht hätte. Seiner Mutter zufolge wusste er bereits mit 15 Jahren professionell mit Memes umzugehen. Dass R. tief in die Online-Kultur eingetaucht gewesen sein muss, war bereits vor seiner Festnahme klar, denn auf den Patronen, die zusammen mit der Tatwaffe entdeckt worden sein sollen, befanden sich Gravuren, die Referenzen an Memes und Videospiele machten. Einige wiesen auf eine Vertrautheit mit antifaschistischer Symbolik hin, andere mit rechtsextremer oder homophober Rhetorik, die häufig in ironischer oder sarkastischer Form in Online-Foren und In-Game-Chats zu finden sind.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
»Pfeil nach oben, Pfeil nach rechts und dreimal Pfeil nach unten« – so beschrieb Cox eine Gravur auf einer Patrone – möglicherweise ein Hinweis auf eine Abfolge von Controller-Bewegungen im populären Videospiel Helldivers 2, mit der Bomben ausgelöst werden. Eine weitere Gravur »Notices bulges OwO« – für Nicht-Eingeweihte unverständlich – wird zum Trollen verwendet. Eine weitere Aufschrift »Hey Fascist! Catch!« wirkt politisch direkter. Aber auch sie entstammt einem Videospiel, ebenso wie die Gravur auf einer Patrone »Bella ciao« – das in der Online-Kultur ihres antifaschistischen Ursprungs inzwischen enthoben ist. Dennoch sagte der Gouverneur von Utah am Samstag gegenüber dem »Wall Street Journal«, die Ideologie von R. sei »linksextremistisch geprägt«.
Dagegen sehen linke Online-Experten in den Gravuren das Gegenteil. Tyler R. sei ein Anhänger der antisemitischen und sexistischen »Groyper Army« des Kirk-Gegners Nick Fuentes geworden, wird von ihnen behauptet. Es handelt sich dabei um den rechtsextremen Rand der rechten MAGA-Bewegung um Trump. Fuentes gehe es um die »Säuberung« der als zu liberal und nachgiebig empfundenen Jugendbewegung um Kirk, nicht zuletzt, weil diese sich offen pro-israelisch und pro-jüdisch gebe.
Trump selbst verlor zunächst sehr schnell das Interesse an Kirk. Als ihm ein Reporter sein Beileid zum Verlust seines Freundes aussprach und fragte, wie er mit der Situation umgehe, antwortete der Präsident nur kurz: »Ich glaube, sehr gut« – um dann schlagartig auf den Bau eines neuen Ballsaals für das Weiße Haus überzugehen. In einer Runde im rechten TV-Sender Fox News wurde Trump dann allerdings wieder direkt. »Die Rechtsradikalen sind oft radikal, weil sie gegen Kriminalität sind«, behauptete er, »das Problem sind die Linksradikalen«.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.