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Schicksal der Chema Rudisleben ungewiß

Betriebsrat legt Unternehmenskonzept vor

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Aufsichtsrat der Chema Balcke Dürr Verfahrenstechnik GmbH Rudisleben berät heute über das weitere Schicksal des Unternehmens. Er wird sich dabei auch mit einem Unternehmenskonzept beschäftigen müssen, das der Betriebsrat in Auftrag gegeben hat und in dem die von der Geschäftsleitung geplante Entlassung von knapp 250 Beschäftigten als kontraproduktiv bewertet wird. Nach Ansicht der Unternehmensberater kann die derzeit unbefriedigende Ertragslage nur durch die Reorganisation der internen Geschäftsprozesse verbessert werden.

Auf einer Pressekonferenz nannte Gutachter Michael Erhardt gestern falsche Gemeinkostenverteilung und das gegeneinander Arbeiten der Profitcenter, in die das thüringische Unternehmen gegliedert ist) als Beispiele für dringend veränderungsbedürftige, kostensteigernde Mängel. Das sei aber kein ostdeutsches Problem, das finde sich auch in westlichen Unternehmen und sei „normal“ Technologisch ist die Chema nach seiner Ansicht durchaus wettbewerbsfähig. Als unrealistisch wertete Erhardt auch das vom Mutterunternehmen Balcke Dürr AG (Ratingen) für das kommende Jahr kategorisch geforderte Produktivitätsziel, das müsse auf drei Jahre gestreckt werden.

Jörg Zimmermann von der IG Metall bezeichnete es als einen beschäftigungspolitischen Skandal, daß angesichts der geplanten Massenentlassungen die Aufträge aus dem Konzern für Rudisleben um sechs Millionen Mark gegenüber dem Vorjahr zurückgenommen werden. Statt dessen müßten Aufträge vorgezogen werden, um die Lage zu stabilisieren. Von der für heute Nachmittag geplanten Betriebsversammlung erwartet er eine Bekräftigung des Widerstandes der Chema-Mitarbeiter gegen die Pläne der Geschäftsführung.

Während der vorangegangenen Aufsichtsratssitzung am 16. Juli hatten 400 Demonstranten die Entlassung der

Geschäftsführung und die Vorlage eines neuen Sanierungskonzeptes, das den Bestand des alteingesessenen Unternehmens sichert, verlangt. Der Aufsichtsrat hatte dann nach einer mehrstündigen Sitzung die Geschäftsleitung mit der Vorlage eines neuen Konzepts beauftragt, zugleich aber betont, wenn sich die Lage nicht ändere, seien Entlassungen nicht zu vermeiden. Diese Ablehnung war von Jenoptik-Chef Lothar Späth, Aufsichtsratsmitglied, mitinitiiert worden. Welche Haltung er heute einnimmt, ist für die Rudislebener eine bange Frage.

Die Entlassungen sind angesichts von rund 30 000 Mehrarbeitsstunden, die nach Angaben von Betriebsratsvorsitzenden Gerhard Liedemann in diesem Jahr bisher geleistet werden mußten, um die Aufträge termingemäß zu erledigen, reichlich unverständlich. Liedemann fürchtet denn auch eine Liquidierung des Betriebes nach der Salamitaktik. Die Beschäftigtenzahlen waren seit

1990 in dramatischen Schritten von 2 000 auf gegenwärtig 466 geschrumpft worden, ohne daß das Unternehmen aus den roten Zahlen kam.

Bei näherer Betrachtung macht der Streit um das Schicksal der Chema Rudisleben den Eindruck eines abgekarteten Spiels. Nach Zimmermanns Ansicht erlahmt das Interesse des Konzerns an dem

1991 übernommenen Thüringer Betrieb, „seit der richtig Geld kostet“, weil die Umstrukturierung nicht mehr mit Treuhandgeldern oder aus Immobilienerlösen finanziert werden kann. Man wolle am Ende wohl nur noch die Konzernerzeugnisse über den Thüringer Standort vermarkten. Dieser Eindruck wird durch den Umstand verstärkt, daß zur gleichen Zeit auch im MAW Magdeburg, das ebenfalls von Balcke Dürr übernommen wurde, die noch 430 Beschäftigte zählende Belegschaft halbiert werden soll. Für den Fall, daß sich der Betrieb dagegen wehrt, wird aus Ratingen die völlige Schließung angedroht.

PETER HEBERS

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