Vier Argumente für den Bestand der Bodenreform
Mit einzigartigem Existenzgründerprogramm erhielten Hunderttausende Familien Arbeit, Brot und Bleibe Von Prof. Dr. CHRISTA LUFT, MdB
Vor über vier Jahren, am 23. April 1991, sind vom Bundesverfassungsgericht 14 Beschwerden gegen den Einigungsvertrag zurückgewiesen worden. Die Kläger waren zumeist Großagrarier. Sie wollen die entschädigungslosen Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 in der damaligen sowjetisch besetzten Zone nicht hinnehmen. Ein Ende hat das Tauziehen um die Ergebnisse der Bodenreform mit dem Karlsruher Urteil allerdings wohl nicht gefunden, gehören sie doch so ziemlich zum letzten, was im Osten Deutschlands nach der staatlichen Einheit noch nicht korrigiert ist.
Für den Schutz der Bodenreform scheinen mir vier Argumente besonders wichtig, die weit über das Interesse der Landbevölkerung hinausgehen. Erstens: Die Bodenreform von 1945 war ein in der deutschen Geschichte einzigartiges Existenzgründungsprogramm. Es gab Hunderttausenden Familien Arbeit, Brot und eine Bleibe. Im Unterschied zum Nachkriegs-ERP-Programm, der Marshallplanhilfe für die westlichen Besatzungszonen bzw die spätere BRD, oder auch zur Mittelstandsförderung der Bundesregierung für die neuen Länder ging es nicht um finanzielle Starthilfe, sondern um kostenlose, schuldenfreie Übertragung von Nutzungsrechten für Grund und Boden sowie Sachvermögen, also um Eigentumsstreuung.
Die Existenzgründer gerieten auf diese Weise nicht in eine erdrückende Abhängigkeit von den Banken, wie das heutzutage häufig der Fall ist. 2,1 Millionen Hektar Land wurden an Umsiedler, landar-
me Bauern und landlose Bewerber verteilt. Altbauern erhielten eine Waldzulage. Es entstanden 210 000 neue Bauernstellen in der Größe zwischen fünf und zehn Hektar 183 000 Dorfhandwerker und Angestellte kamen zu einer Nebenwirtschaft.
Zweitens: Die Übergabe von Bodenreformland an Neubauern als vererbbares Eigentum zur Nutzung hält noch rückblickend zwei Kriterien stand, die aber auch für ein sozial gerechtes, zivilisiertes Gemeinwesen perspektivisch an Bedeutung gewinnen: Sie ermöglichte eine effiziente individuelle Bewirtschaftung der Flächen und schloß gleichzeitig die Verwandlung von Grund und Boden in ein Spekulationsobjekt aus. Seine Veräußerbarkeit und Handelbarkeit waren verfassungsrechtlich unzulässig. Damit waren Weichen gestellt für den zukunftsweisenden Umgang mit einem nicht vermehrbaren Naturgut. Grund und Boden sollten Quelle für den Lebensun-
terhalt der Nutzer, aber nicht für Vermögenszuwachs ohne Arbeitsleistung sein.
Aus Zukunftssicht wäre es nur konsequent, die jetzt in der Verfügung der BWG befindlichen Acker- und Waldflächen nach Ausgleich berechtigter Restitutionsansprüche den ostdeutschen Ländern und Kommunen zu übereignen. Diese könnten durch mehrere Jahrzehnte umfassende Pachtverträge eine der Allgemeinheit zugute kommende ökonomisch nutzbringende und umweltverträgliche Bewirtschaftung sichern. Auch zu Bauland umgewidmete Ackerflächen sollten in Landes- oder kommunales Eigentum übergehen. Dann würden nicht nur private, sondern auch öffentliche Anbieter auf dem Markt auftreten. Der Anstieg von Bodenpreisen und Mieten könnte gebremst werden - ein die ganze Bevölkerung berührendes und interessierendes Thema. Dem steht jedoch entgegen, daß die Privatisierung von ehemals volkseigenem Grund und Boden sich als das große Geschäft für die Banken erweist. Sie begehren privates Landeigentum als wertbeständige Beleihungsgrundlage.
Drittens: Die Aushebelung der Bodenreform würde in der Bundesrepublik die extreme Polarisierung von Eigentum, darunter Grundeigentum, weiter vorantreiben. Die private Vermögensbilanz würde noch
mehr zuungusten der zwischen Elbe und Oder Lebenden ausfallen. Eigentumskonzentration bedeutet aber eine Ballung von Macht und Einfluß. Selbst ein Rückkauf von Flächen durch Alteigentümer schiebt dem weiteren Ost-West-Vermögenstransfer kaum einen Riegel vor
Da es sich in der Regel um en-gros-Käufe handelt, erhalten sie entsprechenden „Rabatt“ Während z.B. Großgrundbesitzer riesige Waldflächen zurückerwerben und für den Quadratmeter zwischen 0,10 und 0,30 DM bezahlen, sollen Nutzer von bewaldeten Kleinparzellen gleicher Qualität ab November 1,20 DM an jährlicher Pacht berappen. Wenn die Bodenprivatisierung nicht verhindert werden kann, dann ist zumindest die Gleichbehandlung aller Kaufinteressenten geboten. Die in Genossenschaften und anderen Gemeinschaftsunternehmen zusammenarbeitenden Bauern dürfen beim Landerwerb nicht benachteiligt werden.
Das gegenwärtige Vorgehen zerstört weiter leistungsfähige Strukturen in Ostdeutschland und bürdet dem Steuerzahler und nachfolgenden Generationen zusätzliche Kosten auf. Die Privatisierung darf nicht zu einer wirtschaftlichen Bevorteilung der künftigen Bodenbesitzer führen. Ziel müssen marktgerechte Verkaufserlöse sein, die sozialen Zwecken,
z.B. der Überwindung der Arbeitslosigkeit dienen.
Viertens: Die Bodenreform war die logische Fortsetzung der Fürstenenteignung und der begonnenen Siedlungsreform in der Weimarer Republik, entsprungen dem Bedürfnis, jahrhundertealtes Unrecht gegenüber Landarbeitern, Häuslern und Büdnern wiedergutzumachen. Diese schufteten über Generationen von Sonnenaufbis Sonnenuntergang, kamen dennoch auf keinen grünen Zweig und waren obendrein der Willkür der Gutsbesitzer als Gerichtsherren ausgeliefert. In den Verlautbarungen der politischen Klasse von heute aber dominieren bedauerliche Willkürakte des Jahres 1945, die jetzt geahndet werden müßten. Vereinzelte Ungerechtigkeit von damals kann man nicht mit massenhafter Willkür in der Gegenwart beantworten.
P.S. Eine Schwester meiner Großmutter wurde um 1900 sechzehnjährig vom Sohn eines Rittergutsbesitzers im Mecklenburgischen „aus Versehen“ erschossen. Er habe ja nur aus Spaß auf sie gezielt, sie aber nicht töten wollen. Das Verbrechen wurde nie geahndet, es kam nicht einmal zu einer Gerichtsverhandlung... Und so war es wohl ein Akt später Gerechtigkeit, als meine Eltern dank der Bodenreform auf den Ländereien derer von Penz siedeln und eine neue Existenz gründen konnten.
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