- Kultur
- „Sternstunde der Mörder“, Roman von PAVEL KOHOUT
Luzifer läßt grüßen
im elementarsten Wortsinn zu frommen scheint. Auf eine Situation, wo das Grauen die normalen (?) menschlichen Maßstäbe in einer Weise sprengt, daß das Infernalische den rechtfertigenden Hauch der Vorsehung erhält. Luzifer läßt grüßen.
„Sternstunde der Mörder“, das mag nach diesen ersten Sätzen hier vielleicht verwundern, ist vorderhand ein Krimi. Kohout siedelt ihn 1944/45 im nazideutsch besetzten Prag an. Eine ganz offenbar psychopathische Mordserie in der Art, wie wir sie von Thomas Harris kennen. Bearbeitet - und da folgt der Romanstil teilweise
Pavel Kohout. Sternstunde der Mörder Roman, Aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jahn. Albrecht Knaus Verlag. 477 S., geb., 49.80 DM.
schon deren Unbeholfenheit von einer tschechischen Kriminalpolizei, die Kischs Prager Pitaval entsprungen zu sein scheint.
Also eine Mischung von Schocker und bieder-pfiffiger Ganovenjägerei. Für den, der's mag, nicht schlecht. Personen und Handlungsstränge wirken dabei immer irgendwie bekannt. Aber der, der's mag, der sucht möglicherweise gerade dies.
Bis hierhin, also bis etwa Seite 200, bewegt sich Kohout also auf bewährten Krimi-Pfaden. Doch als gewiefter Dramatiker weiß er eben, seine Leute zu fangen. Und einmal gefangen, leitet er sie dann, ohne die leicht triviale Action-Ebene zu verlassen, in besagte Situation über: Der Mörder mordet wie vorher. Doch das profane Töten erhält nun geradezu ein Art Weihe. Der psychopathische Killer wird unversehens zum Anführer einer Bande, die unter den abrükkenden Deutschen im bis dahin besetzten Prag aufs Abscheulichste zu hausen beginnt. Nun lebt sich krankhafter Trieb nicht mehr an „unschuldigen“ Zufallsopfern aus, sondern sein Ziel werden „schuldige“ Nur-Deutsche.
Die Alltagsstunde des kriminellen Tötens scheint in die Sternstunde berechtigter Rache hinüberzugleiten. Das Schizophrene: Die eine ist von der anderen nicht mehr zu unterscheiden. Umkehr der Werte. Den gesuchten und nicht erkannten Mördern von gestern wird öffentlich zugejubelt. Die Sternstunde einer Nation, die Stunde ihrer Befreiung, wird zur Sternstunde der Mörder.
Kohout läßt die Geschichte mit dem Tod des Mörders enden. So gesehen hoffnungsvoll. Aber als Autor offenbar auch ratlos. Denn in der gesellschaftlichen Realität ist mit einem High-noon-Schuß nie Schluß. Nicht in Ruanda, nicht
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in Jugoslawien. Aus Mördern werden Helden, das Psychopathische wird zur Fernseh-Alltäglichkeit.
Blieb beim Rezensenten eine Frage: Verharmlost, vereinfacht es nicht jeden Rückfall in die Barbarei, wenn ein tatsächlich Geisteskranker zu deren literarischem Kristallisationspunkt wird? In letzter Konsequenz also auch der Holocaust „nur“ ein klinisches Ereignis?
Kohout, danach von mir dieser Tage in Berlin gefragt, verneint. Er reduziere Böses in keiner Weise auf Psychose. Allerdings greife Böses unter bestimmten Bedingungen gleich einer Psychose um sich. Und Europa zeige heute, gefährlich deutlich, wie nie zuvor seit dem letzten Weltkrieg, daß die Marodeure und Vergewaltiger unter uns sind.
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