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Die Mafia in Halle – ein ganzes Kapitel für sich

Ein neues Buch listet zahlreiche Millionenbetrügereien bei der Privatisierung in der Saalestadt auf Von HANS-DIETER VATER

  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Jahre sind vergangen, seitdem Rechtsanwälte im Auftrag einer zahlungskräftigen Klientel vergeblich versuchten, dem IG-Metall-Bevollmächtigten von Halle, Günter Lorenz, den Mund zu verbieten. Vor Gericht konnten sie seine Feststellung, in Halle regiere eine Wirtschaftsmafia, nicht ad absurdum führen. Deshalb ist es kein Zufall, daß sich in dem gerade im Piper-Verlag erschienenen Buch des Journalisten Jürgen Roth, „DER SUMPF. Korruption in Deutschland“, ein ganzes Kapitel nur mit Vorgängen in Halle befaßt.

In der Heimatstadt Hans-Dietrich Genschers, heißt es dort, hielt nach der Wende „westliche liberale Wirtschaftspolitik ihren Einzug, das heißt es wurde geschoben, gemauschelt, betrogen und vertuscht, daß manche sizilianische Mafiagemeinde sich dagegen geradezu durch asketische Bescheidenheit auszeichnet.“

Einen optischen Beweis dafür liefert allein die in der Saalestadt nach Süden führende Merseburger Straße mit den eingeebneten und für Immobilienspekulation so recht geeigneten Flächen der einstigen Maschinenfabrik oder des Karosseriewerkes, für das sich durchaus seriöse Investoren interessierten. Häßliche Zahnlücken im urbanen Antlitz, die wohl mit in die 300 Millionen Mark materiellen Schaden gehören, aus dem sich gewiefte Geschäftemacher, korrupte Beamte und vor allem Treu-

handmitarbeiter bei der Privatisierung der volkseigenen Betriebe bereicherten. Manche sprechen nach Roth sogar „von der vierfachen'Summe“.

Wenn man im Buch die Seite 210 aufschlägt, wird man an eine der übelsten Nachwendegeschichten erinnert, die bis heute, wie viele andere Fälle, nicht verfolgt wurde: den gewollt herbeigeführten Konkurs und gezielt gewinnträchtigen Verkauf der Karosseriewerke Halle an die Immobilienfirma Südplan mit Sitz in Waiblingen bei Stuttgart. Diesem Deal gab damals die hallesche Treuhandjustitiarin Sylvia Birkhold den Segen, deren Mann, welch ein Zufall, als Sozius in der Anwaltsfirma des in Halle als Liquidator eingesetzten Stuttgarter Rechtsanwaltes Karl Deffner tätig war. Im Vertrag mit der Treuhand von 1991 verpflichtete sich die Südplan, 700 Arbeitsplätze der Karos-

seriewerker zu erhalten und später in einem imaginären Gewerbepark zusätzlich noch 1 300 Stellen zu sichern, wofür die Treuhand beim Kaufpreis auf einen zweistelligen Millionenbetrag verzichtete. Natürlich gab es keinen Erhalt der alten und noch viel weniger neue Arbeitsplätze.

Aber dieses Beispiel ist nur ein Mosaikstein aus dem großen Betrugspuzzle der Privatisierung. Roth erinnert auch an den Konkursskandal der halleschen Konsumgenossenschaft von 1993, bei dem der von der Treuhand eingesetzte Liquidator, Graf Siegfried Baron von Hohenhau, 12,4 Millionen DM Honorar forderte und dazu noch jedem Genossenschafter 50 DM als „Konkursbeitrag“ aus der Tasche zu ziehen versuchte. Weiter steht da die Verschleuderung der Textilreinigung an einen irischen Investor mit einem Geschäftsführerposten für den Treuhandmanager als Dankeschön. In Naumburg bezahlte ein westdeutscher Rechtsanwalt ganze 600 000 DM für den VEB Metallwaren, dessen Fabrikgelände und Immobilien von Thüringen bis zur Ostsee 34 Millionen Mark wert waren, während die Treuhandanstalt aus Steuergeldern die Alt- und

Neuschulden von 102 Millionen Mark deckte. Einer Empfehlung eines Tübinger Professors folgend, verkaufte die Treuhand die Firma Baumechanik Halle an eine Gesellschaft in Linz am Rhein, der ganz zufällig dessen Gattin vorsteht. Daß im Handelsregister des Unternehmens längst auch dieser „Professor W und Partner“ eingetragen ist, erfährt die Öffentlichkeit erst jetzt über das neue Firmenschild am Eingang des Betriebes.

Das Buch verrät mit seiner umfangreichen Darstellung und Quellenangabe Insiderwissen. Dabei sind die kapitalen Betrugsgeschäfte des westdeutschen Unternehmers Wolfgang Greiner, der 23 Unternehmen von der Treuhand mit Hilfe des mit über fünf Millionen geschmierten Privatisierungsdirektors Glock erwarb; der 13-Millionenbetrug des Treuhandberaters Hoeß; die Millionenverdienste Hildesheimer Rechtsanwälte als Berater des ehemaligen Gebäudewirtschaftsunternehmens im Halle-Kapitel noch nicht einmal berücksichtigt.

„Manch profitables Privatisierungsgeschäft wurde hinter den Mauern einer altehrwürdigen Villa in Halle, Sitz des mitteldeutschen Industrie-

Clubs, ausgekungelt,“ schreibt Roth. Geschäftsführer des Clubs war der Vizedirektor der Treuhandniederlassung Halle, Klamroht, der gehen mußte, als gar nichts mehr ging. Aber eine Hand wäscht weiter die andere. Der Anwalt des Industrie-Clubs macht heute im Auftrag der Stadt Halle Rechtsgutachten über die Verwaltung von Liegenschaften. Der OB kommt aus Bonn und der Anwalt auch. Der Liquidator der Karosseriewerke kam aus Stuttgart und das Immobilienunternehmen Südplan ebenso. Greiner wurde vom Stuttgarter Landgericht wegen Bestechung, Urkundenfälschung und Untreue zu über fünf Jahren verurteilt. Jetzt steht Glock vor den Schranken des gleichen Gerichts. Aus dem falsch spielenden halleschen „Treuhandorchester“ sind fast alle noch mit von der Partie, weshalb wohl auch die einstige Justitiarin der Filiale, Sylvia Birkhold, die Verteidigung von Glock übernommen hat.

Gewerkschafter Lorenz ist sich sicher, daß weiterhin „in Halle ein Klüngel herrscht, der sich gegenseitig die Dinge zuschiebt“ Halle ist ein Kapitel für sich und hat es deshalb wohl auch „verdient“, in besagtem Buch eines zu sein.

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