Seesanierung durch Düngung?
Saure Mineralien verhindern Belebung des Wassers in Lausitzer Tagebaulöchern Von STEFFEN SCHMIDT
Während viele deutsche Gewässer nach wie vor unter einem Zuviel an Stickstoffverbindungen und Phosphaten leiden allsommerliche Algenblüte zeugt davon -, stellen die künstlichen Seen in einigen Tagebaurestlöchern der Lausitz die Gewässerexperten vor ganz andere Probleme: Sie sind so sauer, daß selbst robuste Algen nicht rein wollen.
Die Rekultivierungjener Mondlandschaften, die der Braunkohleabbau hinterläßt, war in der einstigen DDR meist mit der Gestaltung künstlicher Seen verbunden. Der große Senftenberger See etwa entstand auf diese Weise. Doch bei der Umwandlung von Tagebaulöchern und Abraumkippen in idyllische Seenlandschaften gibt es nicht wenige Probleme. So müssen die „Ufer“ der künftigen Seen aufwendig angeschrägt, Halden bepflanzt werden. Nicht wenige Deponien von Bauschutt, Gift- und Hausmüll, die zu QDJl-Zejten in v ausgekol}lten
Beseitigt werden, ehe man den Wasserzufluß öffnen kann.
Diese Probleme haben die Tagebaue in der Lausitz mit den Mitteldeutschen im Raum Halle-Leipzig-Weißenfels gemeinsam. Doch anders als dort ist die Hälfte der Lausitzer Tagebaurestseen extrem sauer Das umgebende Erdreich enthält relativ hohe Konzentrationen schwefelhaltiger Mineralien wie Pyrit und Markasit. Als diese Mineralien durch den Kohlebergbau mit Wind und Wetter in Kontakt kamen, verwitterten sie zu schwefelsauren Verbindungen. Die Folge: Als die Tagebaue geflutet wurden, bildete sich mit dem hinzugekommenen Wasser eine mehr oder minder verdünnte
schwefelsaure Lösung mit hohem Eisenanteil. Der pH-Wert (das Maß des sauren Charakters) erreicht in einigen Fällen den extremen Wert 2 (die pH-Skala geht von 0 = extrem sauer bis 14 = extrem basisch). Damit unterscheiden sich die Lausitzer Tagebauseen grundsätzlich von anderen, natürlichen Gewässern, selbst wenn jene vom Regen versauert sind. Wegen dieser relativ neuen Besonderheit wissen auch die Fachleute, die sogenannten Limnologen, bisher so gut wie nichts über das Verhalten solcher Seen. Sicher ist nur, daß die geplante Nutzung für Erholung oder Fischerei vom hohen Säuregrad in Frage gestellt wird. Das zeigen schon die einzigen natürlichen „Verwandten“, die Kraterseen erloschener Vulkane.
Auf der kürzlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Limnologie in Berlin wurden sich die Anhänger traditioneller Vorstellungen von Seesanierung und experimentierfreudigere Wissenschaftler jedenfalls nicht einig. Eine Gruppe von Wissenschaftlern machte in einem auf der Tagung verbreiteten Papier den ungewöhnlichen Vorschlag, statt der herkömmlichen Kalkung, die sich schon aus ökonomischen Gründen bei so sauren Seen verbiete, derartige
Seen vorübergehend zu eutrophieren (überdüngen). Prof. Dr. Christian Steinberg, Direktor des gastgebenden Berliner Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, meinte dazu im Gespräch salopp, er mache sich erbötig, mit einer Handtasche Phosphatdünger mehr zu erreichen als mit Lkw voller Kalk.
Gefragt, wie das denn funktionieren soll, erläuterte er, daß man mit dem Phosphat etwas erreichen wolle, was aus überdüngten Seen bekannt ist. Es soll durch den Dünger und eventuelle Behinderung des vertikalen Wasseraustausches die Entwicklung von Mikroben gefördert werden, die absterbend eine Faulschlammschicht auf dem Seeboden bilden. Erst in einer so erzeugten sauerstofffreien Tiefwasserschicht hätten jene Mikroorganismen eine .Chance, die die Fähigkeit < zur Reduktion der Sulfate und i zum Ausfällen des Eisens besitzen. Da bisher nicht klar sei, wie dieser Prozeß in Anwesenheit von hohen Schwermetallkonzentrationen abläuft, wünschen sich Steinberg und seine Kollegen eine begrenzte Zahl von sauren Bergbauseen als Experimentierfeld. Einen Beschluß in ihrem Sinne konnten die Anhänger der Eutrophierungsmethode allerdings nicht herbeiführen. Prof. Steinberg meint, daß noch viele Limnologen aus der Sicht von Trinkwassertalsperren und Voralpenseen dächten. Und die meisten neutralen Seen in Deutschland sind tatsächlich durch Überdüngung mit Phosphaten der früheren Waschmittel und den Stick-
stofflasten aus Landwirtschaft und Abwässern ruiniert worden. Da hat es die „ketzerische“ Idee von Steinberg und seinen Verbündeten naturgemäß schwer
Gute und neue Ideen werden auch einige der Tagebauseen im Raum Halle-Leipzig brauchen. Auch dort gibts ein Säureproblem, wenngleich nicht in der Schärfe wie in der Lausitz. Doch hier einige der mitteldeutschen Kohlevorkommen lagen in einem Gebiet mit stark salzhaltigem Grundwasser, so daß manche Restlöcher starke Salzgehalte aufweisen. Die sich bildenden Seen in einem Restloch nahe Merseburg zum Beispiel enthält derzeit immerhin 10 bis 15 Gramm Salz (überwiegend Kochsalz). Die Hydrogeologen der Lauchstädter Niederlassung des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ) stehen vor der Frage, wie sich: diese Seen nach ihrer vollständigen Flutung entwikkeln werden. Das Problem so Dr. Rolf Trettin vom UFZ besteht darin, herauszubekommen, wie salzig die Mischung aus zufließendem extrem salzigem Tiefenwasser (bis 80 g Salz pro Liter) und salzarmem Wasser der oberen „Stockwerke“ letztendlich sein wird. Untersucht werde auch, ob sich das Wasser in den Seen nach dem Salzgehalt schichten wird und wie stabil solch eine Schichtung sein wird. Sicher scheint nur eins.- Der jetzige Salzgehalt wird wohl noch sinken. Denn mit steigendem Wasserstand hat es das Salzwasser der Tiefenschicht immer schwerer, in den See zu dringen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.