Die Macht der Spermien im Embryo

Max-Planck-Forscher lösen fundamentales Problem der Entwicklungsbiologie

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Dass Spermien nicht nur das Erbgut des Vaters liefern, sondern auch Substanzen enthalten, die eine wichtige Rolle in der frühen Entwicklung eines Lebewesens spielen, ist seit längerem bekannt. So haben US-Forscher im Spermium mehr als 3000 verschiedene molekulare Bauanleitungen für Proteine gefunden, von denen einige nachhaltig in die embryonale Entwicklung eingreifen, die damit nicht - entgegen früheren Auffassungen - ausschließlich durch die Eizelle gesteuert wird. Das erklärt vermutlich auch, warum die vaterlose Zeugung, sprich das Klonen von Lebewesen, so selten erfolgreich ist. Tatsächlich sterben die meisten Klone schon während ihrer Embryonalentwicklung, und die überlebenden Individuen leiden häufig unter schweren körperlichen Missbildungen, die überwiegend von genetischen Ablesefehlern herrühren. Doch Spermien erfüllen noch weitere lebenswichtige Funktionen, wie Carrie Cowan und Tony Hyman vom Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie jetzt herausgefunden haben. So sorgen Signale aus den männlichen Keimzellen für die frühe räumliche Orientierung des Körpers, die bei vielen Lebewesen zugleich Voraussetzung ist für die fehlerlose Entwicklung von Geweben und Organen. Darüber berichten die Forscher im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 431, S. 92). Bis heute gehört die Frage, welche Prozesse bei einem Tier über die Herausbildung von Kopf- und Schwanzteil entscheiden, zu den fundamentalen und weithin ungelösten Problemen der Entwicklungsbiologie. Dass diese Prozesse sehr früh in der Embryogenese einsetzen, belegen Untersuchungen am Fadenwurm C. elegans, der ausgewachsen etwa einen Millimeter groß ist und inzwischen als eine Art Haustier der Genetiker und Molekularbiologen gilt. Bereits 30 Minuten nach der Befruchtung wird im noch einzelligen Embryo des Wurms die erste Körperachse festgelegt. Dabei entstehen zwei unterschiedliche Körperbereiche, die sich später zum Äußeren und Inneren des Tieres fortentwickeln. Was aber ist die Ursache dafür, dass diese Achse sich überhaupt herausbildet? Nach Auffassung der Dresdner Max-Planck-Forscher wird dieser Vorgang hauptsächlich durch Impulse aus den Spermien gesteuert. Beim Fadenwurm C. elegans sind die Spermien relativ einfach aufgebaut. Sie führen im wesentlichen nur zwei Komponenten mit sich, die für die Entwicklung eines Embryos von Bedeutung sind: den Zellkern, der die väterlichen Gene trägt, und das so genannte Zentrosom, das von fassähnlicher Struktur ist und später dazu dient, die überwiegende Mehrzahl der Zellbestandteile zu organisieren. Darüber hinaus bestimmt es die geometrische Grundstruktur des Embryos, wie Cowan und Hyman im Experiment nachgewiesen haben. Sie zerstörten dabei das Zentrosom mit einem genau definierten Laserstrahl, noch bevor eine embryonale Körperachse überhaupt entstehen konnte. Unter diesen Umständen bildete sich die Achse gar nicht aus und die Zelle zeigte typische Eigenschaften nur eines, des vorderen Körperbereichs. Zerstörten sie das Zentrosom hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa nach der Herausbildung des hinteren Körperbereichs, hatte der Eingriff keinerlei Auswirkungen mehr auf die räumliche Struktur des Embryos. Und auch der Kern des Spermiums spielte in diesem Geschehen wider Erwarten keine Rolle; selbst kernlose Mutanten des Wurms besitzen eine deutlich ausgeprägte Vorder-Hinter-Achse. Das alles lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Die Herausbildung der frühen Körpergeometrie wird durch ein räumliches Signal initiiert, das, wenn auch nur zeitweilig, vom Zentrosom ausgeht. Die Dresdner Experimente machen sonach plausibel, warum es ohne die »ordnende Kraft« der Spermien beim reproduktiven Klonen so oft zu embryonalen Missbildungen kommt. Denn Störungen der frühen Geometrie eines Körpers dürften über kurz oder lang zu organischen Fehlentwicklungen führen. Hingegen wäre das therapeutische Klonen, also die Herstellung erbgleicher Stammzellen, aus medizinischer Sicht zumindest vertretbar, da sich hierbei kein vollständiger Embryo entwickelt. Die Frage, ob es auch ethisch vertretbar ist, bleibt davon freilich unberührt.

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