Der geizige Liebhaber

Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer

  • Wolfgang Schmidbauer
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wie war das Leben doch vordem in Köln am Rheine so bequem!« Der Balladenvers über die Heinzelmännchen könnte auch als Motto angesichts der Liebesklagen und Beziehungsdebatten dienen, mit denen sich der Familientherapeut beschäftigen muss. Früher haben wir doch weniger gejammert und weniger Therapie gebraucht, und doch waren die Ehen stabiler und die Scheidungen seltener! Heute aber scheinen die Probleme schneller zu wachsen als die Lösungen, und das will etwas heißen angesichts der Fülle an guten Ratschlägen, an Tipps und Strategien in Zeitschriften und Büchern, was für oder gegen Seitensprünge, Lustlosigkeiten und Scheidungen nach 30 Ehejahren zu unternehmen sei. Da beruhigt es vielleicht ein wenig, sich klarzumachen, dass diese Leiden doch auch ein Zeichen dafür sind, wie gut es uns geht. 60-Jährige sind heute keine Greisinnen oder Greise, sondern gesunde, dynamische und reiselustige Menschen, in deren Repertoire durchaus auch der Aufbruch zu neuen Beziehungsufern gehört. Früher starben Frauen im Kindbett und Männer im Krieg; die Lebenserwartung war kurz, die wirtschaftliche Not drückend. Eine Frau, die keinen Mann hatte, musste hungern oder war auf Gnadenbrot angewiesen; einen Junggesellen erkannte man an hohlen Wangen und schlechtem Geruch, weil ihm niemand ein gutes Essen kochte und ein Hemd wusch. Wenn viele Ehen älter werden und Männer wie Frauen sich in einer blitzenden Singleküche perfekt versorgen können, wächst der Anspruch emotionaler Erfüllung. Die modernen Liebenden sind ihm sozusagen nackt ausgesetzt, ohne von wirtschaftlicher Alltagsplage oder dörflichem Gemeinsamkeitszwang abgelenkt zu werden, die den bäuerlichen oder kleinbürgerlichen Haushalt der Urgroßeltern unterdrückten und entlasteten. Und wie der Mensch ist, will er alles haben: den berauschenden Liebesanfang ebenso wie die Sicherheit und Dauer einer sakramentalen Ehe. Ein Teil der modernen Beziehungsklagen scheint mir damit zusammenzuhängen, dass wir uns in eine Zeit zurückträumen, in der eine Beziehung alles war, was Frau und Mann haben konnten - es sei denn, der Tod griff nach einem der Partner. Wir haben für die erste Liebe das Modell des Guten, Wahren, Schönen entwickelt. Viele von uns sind in diesem Punkt Fundamentalisten. Wenn es nicht funktioniert mit der Erlösung durch die Liebe, mit der Harmonie und der heilen Welt, dann lag es nicht an unseren unrealistischen Idealen, sondern daran, dass wir (vor allem natürlich unser enttäuschender Partner) uns ihrer unwürdig erwiesen haben. Wir müssen fester an sie glauben, sie unbarmherziger durchsetzen. Dann wird es beim nächsten oder übernächsten Mal schon besser sein, wenn wir endlich die oder den Richtigen gefunden haben. So entsteht das Motiv des geizigen Liebhabers (oder der Liebhaberin), die mir in der Praxis jetzt häufiger begegnen. In dem Computerprogramm, das passende Partner verkuppelt, war die Übereinstimmung groß und hoffnungsvoll. Wenn sich dann aber herausstellt, dass der neue Partner auch seine Geschichte, seine Verletzungen trägt, dass er misstrauisch und vorsichtig ist und nicht bereit, gleich alles zu wagen und zu geben - dann kann es die richtige Beziehung nicht sein, dann lohnt es sich auch nicht, sich auf erste Schritte einzulassen. Einige Zitate: »Es ist ja nicht so, dass ich immer nur im Delikatessenladen kaufe. Aber ein bisschen Stil muss doch sein. Und er will immer in den billigsten Italiener gehen. Neulich haben wir uns im Biergarten getroffen. Jeder sollte was zu essen mitbringen. Ich hab Radieschen gekauft und frisches Brot, ein paar schöne Käsesorten. Und er kam mit einer Tüte vom Aldi und Plastikaufschnitt. Ich kann doch nicht meine Zukunft mit einem solchen Geizkragen verbringen!« (Eine 55-jährige Chefsekretärin über einen 58-jährigen Wirtschaftsprüfer, den sie durch Parship kennen gelernt hat.) »Wenn ich was organisiere, einen Ausflug oder Theaterkarten, eine Vernissage, dann macht er gerne mit und freut sich. Aber er organisiert nie etwas. Er möchte den Abend am liebsten zu Hause verbringen. Ich soll wieder die guten Spaghetti kochen, die ich beim ersten Mal gemacht habe, als er mich besuchte. Immer muss ich dafür sorgen, dass wir uns die Auslagen für die Theaterkarten teilen. Ich würde auch nie auf den Gedanken kommen, Benzingeld von ihm zu verlangen - aber er hat das neulich, auf unserer Fahrt nach Venedig, tatsächlich gemacht!« (Eine 52-jährige Programmiererin über einen 55-jährigen Unternehmensberater). Beide Frauen waren vor drei Wochen noch glühend verliebt und voller Optimismus; sie hatten ihre Partner mit allen eigenen Vorzügen ausgerüstet und deren Ängste und Zwanghaftigkeiten ignoriert. Jetzt, angesichts einer Bindungszukunft, verwandelten sich die großzügigen Mütter in anspruchsvolle Babys - und die idealisierten Liebhaber in böse Geizkrägen. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass wir noch keine Kultur einer Liebesbeziehung haben, die ihre Vergangenheit ernst nimmt und erforscht. So entsteht eine angespannte, perfektionistische Stimmung, die dem Lebenselixier der alltagstauglichen Liebe feindlich ist: der Toleranz für Schwächen, dem Humor, wenn etwas schief geht.

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