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  • Kultur
  • Das „Rheingold“ beschloß die „Ring“-Inszenierung von Kupfer und Barenboim in der Lindenoper

Metapher auf den Urfrevel der Menschheit

  • HANS JÜRGEN SCHAEFER
  • Lesedauer: 5 Min.

In der Lindenoper beginnt der Vorabend zu Wagners „Ring des Nibelungen“ ohne Musik. Die Bühne öffnet sich und gibt den Blick frei auf das mächtige Wurzelgeflecht der Weltesche. Ein Mann steht da und reißt aus dem Holz des Baumes seinen Gesetzesspeer. Roter Lichtschein dringt aus der „Wunde“. Der Mann ist Wotan. In Harry Kupfers neuer, zweiter „Ring“-Interpretation ist diese Verletzung der Natur der „Urfrevel“. Er löst aus, was dann mit dem tiefen Kontrabaß-Es der Musik Wagners beginnt: Aus Sehnsucht nach Liebe, nach Harmonie und Vereinigung wird Gier nach Macht. Die Natur wird zerstört durch die Geschöpfe, die in ihr leben und die sich letztendlich damit selbst zerstören. Am Ende, in der „Götterdämmerung“, gehen Götter und Menschen im Feuer zugrunde. Wagners kritische Weltsicht erscheint bei Harry Kupfer zugespitzt in gnadenlosem Pessimismus. Bei ihm wird zum Schluß nicht nur Wotans Speer zerbrochen. Auch den Ring, Symbol für „Macht ohne Maß“, läßt er schließlich wie Staub zerbröseln.

Vermittelte Kupfer bei seiner ersten „Ring“-Inszenierung 1988 in Bayreuth noch einen Funken Hoffnung auf eine neue, bessere Welt, so ist die in dem nun gefundenen „Raum der Geschichte“ verschwunden. Für Wagners Tetralogie wurden durch den Regisseur am Ende unseres Jahrhunderts inszenatorische Zeichen gefunden, die wahrlich nicht ohne Grund die kritische Weltsicht des Dichter-Komponisten in ihrer gesellschaftlichen Relevanz bis zur letzten Konsequenz ausloten. Allein dies macht schon den besonderen Wert des nun mit dem „Rheingold“ abgeschlossenen Zyklus in der Lindenoper aus.

Es ist durchaus reizvoll, mit der „Rheingold“-Premiere am* Ende noch einmal auf die vor^ angegangenen Premieren von „Walküre“, „Siegfried“ und

„Götterdämmerung“ zurückzublicken. Für den interpretatorischen Weg durch die Tetralogie in Kupfers Sicht gibt der „Vorabend“ den Schlüssel. Der Bühnenraum mit der noch lebenden, wenn auch schon verletzten Weltesche, mit den durch Reste alter Kulturen bestückten Wänden, dem durch Licht belebten Gitterraster wird durch alle Abende führen. Unter den Wurzeln nisten die Nibelungen. Sie umschwimmen die Rheintöchter. Hier raubt Alberich das Gold. Dorthin fährt Wotan, um die Mahnung der Erda zu hören; Um den Stamm lagern die Götter, Walhall, die neue Heimstatt zu bewundern. Bühnenbild (Hans

Schavernoch) und Kostüme (Reinhard Heinrich) prägen so die Grundelemente der szenischen Gestaltungsweise in Bild und Form für das Ganze vor Zum Raub des Nibelungenschatzes fahren Wotan und Loge in die Tiefe, an die Wurzeln der Weltesche, an den freilich hier akustisch zu stark zurückgenommenen Schmiedehämmern der Sklaven Alberichs vorbei. Am Ende findet der Regisseur noch eine imponierende szenische Lösung: Die Götter ziehen in den Bühnenhintergrund, wie in einer Konfetti-Parade mit* Goldstaub um sich werfend, zu ihrer neuen Burg. Im Vordergrund steht Loge, spöttisch zweifelnd, sich

in ein großes Taschentuch schneuzend, das er dann den Entschwindenden verächtlich nachwirft.

Merkwürdigerweise haben diese „Rheingold“-Szenen aber insgesamt kein sonderliches szenisches Profil. Die Konversationen der Götter, Riesen und Alben vollziehen sich bläßlich. Manchmal wirken die Arrangements beinahe unbeholfen. Man steht herum, man läuft endlos durch den Raum (Freia zum Beispiel auf ständig zielloser Flucht vor den Riesen). In manchen Details wiederum erweist sich die Meisterhand* des charakterprägenden Regisseurs mit außerordentlicher Schärfe. So ge L

lingt es, die beiden Riesen in ihrer roboterhaften Kostümierung sicher zu zeichnen. Dazu kommt, daß Rene Pape (Fasolt) in genau profilierendem Gesang und dazu mit profundem Baß-Timbre aus seinen ungeschlachten Aktionen berührende Details hervorzuheben versteht: Ein Riese mit menschlichem Sehnen nach Liebe und Wärme. Das war eine der Glanzleistungen des Abends. Sein grobkörnigerer, machtbewußter Bruder Fafner war Siegfried Vogel. Der hatte einst in der Berghaus-Inszenierung des „Rheingold“ als Wotan gute Figur gemacht und fand auch für diese Partie genaue Töne. Daneben glänzte

Peter Schreier als Loge, halslos dicklich ausstaffiert, aber überlegen und souverän agierend, mit scharf charakterisierendem, klanglich genau auf die intelligent-verschlagene, zuweilen ironisch überlegene Gesangsattitüde dieser Partie eingehend, die er sich seit Jahren souverän zueigen gemacht hat.

Gesungen wurde insgesamt überzeugend. John Tomlinson war ein agil-energischer Wotan. Günter von Kannen - von großem Gesangsformat, ein gefährlich aufbegehrender Alberich. Ausgezeichnetes auch in den kleineren Partien: Antti Suhonen (Donner), Endrik Wottrich (Froh) und der agile Peter Menzel (Mime). Bei den Damen gab es gesanglich das ausgewogenere Maß von Deklamation und Stimmschönheit: Uta Priew ist eine treffliche Fricka, eindrucksvoll Mette Eising als Erda, dazu der schöne Sopran Gertrud Ottenthals (Freia) und die Rheintöchter (Carola Höhn, Katharina Kammerloher, Andrea Bönig).

Am Dirigentenpult hatte der nun wahrlich Wagner-erfahrene Daniel Barenboim die Fäden fest in der Hand. Die Staatskapelle war mit gewohnter klanglicher Rundung und Fülle bei der Sache. Freilich: Zu der Intensität und dramatischen Kraft, wie sie bei manchen vorhergehenden „Ring“-Abenden zu erleben war, zumal bei der „Götterdämmerung“, kam es hier nur sehr selten. Es wurde ein wenig zu unentschieden zwischen scharfem dramatischem Akzentuieren, lyrischem Strömen und akkurat servierendem „Konversationston“ musiziert. Das Publikum aber war begeistert.

Der neue „Ring“ der Lindenoper ist also nun vollendet. In wenigen Tagen, während der ersten Festtage des Hauses, wird er zum ersten Male zur Gänze zu hören sein. Wagnerianer aus aller Welt haben sich dafür die Eintrittskarten gesichert.

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