Der 50-jährige Krieg hat Amerika ruiniert

Begegnung mit dem USA-Schriftsteller Gore Vidal, einem der schärfsten Bush-Kritiker

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Der berühmte USA-Schriftsteller Gore Vidal kritisiert das Weltmacht-Auftreten Washingtons, rechnet mit einem Wahlsieg Kerrys - und der anschließenden Wahlfälschung durch die Bush-Leute.

Der Schriftsteller, Essayist und Oscar-Preisträger Gore Vidal (79), von dem es heißt, kein Autor seit Benjamin Franklin habe die US-Amerikaner »geschickter und öfter verspottet und geärgert« als er, ist nicht nur langjähriger, eleganter Kritiker, sondern auch intimer Kenner des Establishments der USA. In Berlin gab er jetzt erstmals ein Interview für »Neues Deutschland«. Am Morgen nach dem ersten Fernsehduell zwischen Präsident George W. Bush und dessen Herausforderer Senator John Kerry und zwei Tage vor seinem eigenen 79. Geburtstag ging der Polemiker, der 22 Romane, mehrere Theaterstücke, Filmdrehbücher (Oscar für »Ben Hur«) und Kurzgeschichten geschrieben hat, mit der Regierung seines Landes innen- wie außenpolitisch ins Gericht.

Kein anderes Ziel als die Kontrolle des Öls

Mit Blick auf den Krieg in Irak könne es für die USA nur eines geben: »Go home! Wenn Amerika in Irak bleibt, hat es nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren.« Mit der gegenwärtigen Regierung unter Bush werde es indes »absehbar kein Kriegsende geben«, sagte Vidal beim Interview im Hotel Adlon. »Wir sind in diesen Krieg mit keiner anderen Absicht gezogen, als den Irakis das Erdöl zu entwenden - ebenso wie wir bereits in Afghanistan einmarschiert sind, um eine Pipeline für die Union Oil of California zu sichern. In beiden Fällen war wenigstens das Motiv ehrlich. In den Vietnam-Krieg sind wir aus Eitelkeit geraten - immer ein schlechter Kriegsgrund! Damals wollten wir unsere Glaubwürdigkeit sichern. Als ob wir welche hätten! Heute, in Irak, ist es ein Krieg der nackten Aggression mit dem Ziel, die schrumpfenden Erdölvorräte der Welt unter Kontrolle zu bringen. Darum geht es. Der Krieg wird also weitergehen und für Amerika immer verhängnisvoller werden.«
In der ersten Fernsehdebatte fand Vidal den Herausforderer »plausibler, während Bush sich ständig widersprach«. Auf die Frage, welchen Unterschied ein Sieg Kerrys machen würde, sagte der Mann, der der Senatorenfamilie des früheren Vizepräsidenten Al Gore entstammt, verwandtschaftliche Bande zum Kennedy-Clan hatte und selbst mit mehreren Präsidenten befreundet war: »John Kerry hat den Vorzug, dass er überdurchschnittlich intelligent ist, während Bush diesbezüglich nicht mal Durchschnitt erreicht. Da ich Intelligenz schätze, denke ich, Kerry wäre besser. Leider ist auch er Imperialist.« Dies sei der entscheidende Maßstab für die Bewertung US-amerikanischer Politik.
»Als Richard Cheney Bushs Vizepräsident wurde, berief er das berüchtigte Treffen führender amerikanischer Erdöl-Männer ein, um von ihnen zu hören, wann die Erdölvorräte der Welt voraussichtlich erschöpft sein würden. Sie nannten 2020. Der starke Industrieaufschwung Chinas verschärft dieses Problem. In der Runde mit Cheney wurde daher beschlossen, die Öl-Staaten für die USA zu erobern und zum Erreichen dieses Ziels jeglichen Vorwand zu nutzen. Der inzwischen zurückgetretene Finanzminister der Bush-Regierung hat öffentlich gemacht, dass im Bush-Zirkel seit Beginn der ersten Bush-Amtszeit über eine Invasion in Irak gesprochen wurde. Da von Irak aber keine echte Gefahr für Amerika ausging, mussten wir Bagdad verteufeln. Dann kam der 11. September 2001, und das eine wurde mit dem anderen verknüpft, obwohl Irak und die Terroranschläge zwei verschiedene Dinge waren. Heute jedoch glauben 80 Prozent der USA-Bürger, Saddam Hussein habe hinter dem Angriff auf das World Trade Center gestanden.«
Vidal machte im Interview deutlich, dass er das Herrschaftssystem in seiner Heimat USA für »das korrupteste auf Erden« hält und daraus seine eigene Aufklärungsaufgabe (»eine bescheidene Stimme der Vernunft«) ableitet: »Ich sehe meine Herausforderung darin, Menschen klar zu machen, warum etwas geschieht. Amerika ist ein Land, in dem jeder von klein auf angehalten wird, niemals nach dem Warum zu fragen. Stattdessen heißt es etwa "Dieser Mann ist böse - deswegen hat er es getan. Er ist böse." Nur bei Ungebildeten kannst du mit solchen Argumenten landen. Ich bin Protestant. Ich protestiere gegen Ignoranz. Das ist meine unpopuläre Rolle.« Er, Vidal, fühle sich in der klassischen US-amerikanischen Auseinandersetzung zwischen Imperialisten und Anhängern des republikanischen Gedankens »als Republikaner mit kleinem R. Ich befürworte die Ziele einer verfassungsmäßigen Republik. Und wie schon Thomas Jefferson (einer der Gründerväter der USA - R.O.) klargemacht hat: Man kann nicht beides zugleich sein - Empire und Republik. Die USA haben sich für die Weltmacht entschieden. Das war keine gute Wahl. Ich stehe für die Wiederherstellung der Republik und die Beseitigung des Empires.«

Den vollständigen Artikel finden Sie in unserer Printausgabe vom 06. Oktober 2004

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