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Dutschke und die Direktoren

  • PETER RICHTER (Text) und BURKHARD LANGE (Bild)
  • Lesedauer: 8 Min.

Helmut Dutschke in der Luckenwalder Ausstellung über seinen Bruder Rudi

Obwohl ich nun schon seit 4 Jahren an Wahleinsätzen, Versammlungen und Sportveranstaltungen der FDJ teilnehme, habe ich noch keinen richtigen Kontakt zur FDJ bekommen. Das liegt wahrhaftig nicht an meiner Gesinnung. Ich sehe den Hauptgrund darin, daß sich niemand von der FDJ mit mir in sachlicher Diskussion politisch auseinandergesetzt hat. (Rudi Dutschke, 1958)

Dutschke wollte studieren, aber auch die eigene Meinung behalten: „Wenn ich auch an Gott glaube und auch nicht zur Volksarmee gehe, so glaube ich dennoch, ein guter Sozialist zu sein“, schrieb er an seinen Direktor. Schöckel sah das anders. „Im Gegensatz zu den meisten Schülern seines Abiturjahrganges hat es Jugendfreund Dutschke offen abgelehnt, nach seinem Abitur den freiwilligen Dienst bei der NVA anzutreten“, sagte er in einer Versammlung in der Schulaula und forderte Stellungnahme, was Stellungswechsel meinte.

Doch der Schüler stellte Fragen. „Warum haben wir vor wenigen Jahren noch als Kinder die Spielzeugwaffen auf den Müll geworfen und sollen jetzt an richtigen Waffen ausgebildet werden?“ fragte er unter verhaltenem Beifall. Und er erinnerte an seinen Onkel, der einen Volltreffer auf seinen Panzer nicht überlebt hatte und von dem nichts blieb als die dürre Nachricht „Gefallen für Führer und Reich.“ Er argumentierte, wie er es bis dahin gelernt hatte: „Es soll nicht noch einmal heißen: .Gefallen' Meine Mutter hat uns vier Söhne nicht für den Krieg geboren.“

Damit, so befand der Direktor, entspricht sein Gesamtverhalten „nicht den gesellschaftlichen Anforderungen zum Gesamtprädikat ,gut'“ Rudi Dutschke, mit drei Einsen und sechs Zweien auf dem Reifezeugnis, war für ein Studium nicht geeignet.

Dutschke fügte sich zunächst: „Ich glaube auch zu wissen, was ich dem Staat, der mir den Besuch der Oberschule ohne finanzielle Opfer ermöglichte, schuldig bin. Ich werde in der Produktion so arbeiten, daß ich mithelfe, unseren Staat zu stärken und zu festigen.“ Er nahm eine Lehre auf, schloß sie mit „Sehr gut“ ab und hoffte weiter aufs Studieren - vergeblich. So pendelte er schließlich ins 40 Kilometer entfernte Westberlin, holte dort das Westabitur nach und begann ein Soziologiestudiuni an der Freien Universität. Als die Mauer gebaut wurde, war ihm der Rückweg abgeschnitten. Er blieb im Westen, wohin sich übrigens noch rechtzeitig auch sein einstiger Direktor Schökkel abgesetzt hatte.

Von dorther kehrte der Name Dutschke bald via Rundfunk und Fernsehen nach Lucken-

walde zurück. Er war zum radikalen Studentenführer geworden, der mit dem Schlachtruf „Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen“ auf die Westberliner Straßen ging, eine „Subversive Aktion“ gründete, eine Zeitschrift „Anschläge“ herausgab

- alles Taten, die heute immer noch oder schon wieder justitiabel sein dürften.

Solche Radikalität erschreckte - mindestens genauso wie die Bundesrepublik

- auch die DDR, der eigentlich der antiimperialistische Impetus ihres Sohnes hätte gefallen müssen. Während Dutschke im Westen zum „Volksfeind Nr. 1“ gestempelt wurde, schwieg die DDR seine Herkunft tot. „Wir haben im Geschichtsunterricht gehört, daß Luckenwalde in einem Urstromtal liegt und sich auf einer Endmoräne in Richtung Berlin bewegt“, erinnert sich Kornelia Wehlan, jetzt für die PDS im Stadtrat, „aber von Rudi Dutschke kein Wort.“ Und Elfi von Faber, Englischlehrerin am Gymnasium, mußte 1981 erleben, daß selbst Dutschkes Neffe über ihn nicht sprechen wollte: „Das Thema war ihm unangenehm.“

Die Mutter verstand den Sohn nicht, der so ganz anders geworden war, als sie ihn erzogen hatte. „Rudi, hast du vergessen, was Mutti dir, als du klein warst, gelernt hat: Ist die Habe noch so klein, dankbar

mußt du immer sein , schrieb sie ihm einmal. Und 1968: „Bist du ganz vom Bösen besessen, hast du kein Verantwortungsgefühl mehr für Deine Frau und für Dein kommendes Kind?“

Helmut Dutschke jedoch, Arbeiter in Teltow, bewunderte den kleinen Bruder Manchmal erwartete er ihn an der Friedrichsstraße, wenn Rudi mit dem Tagesvisum einreiste und fuhr ihn dann - nach DDR-Vorschriften illegal - zum Kurzbesuch bei den Eltern. Das bekam nicht einmal die Staatssicherheit mit, die ansonsten während seiner seltenen offiziellen Besuche im Elternhaus jeden Schritt minutiös festhielt. „Weiterhin wäre zu erwähnen, daß .Quelle' ständig eine Baskenmütze trug, die er selbst beim Baden aufbehielt und nur beim Duschen absetzte, sie aber anschließend sofort wieder aufsetzte“, notierte im August 1970 ein Späher. Zwei Jahre zuvor hatte auf dem Berliner Kurfürstendamm ein Mann auf Dutschke geschossen; die schwere Kopfverletzung zwang ihn seither zu solcher Vorsichtsmaßnahme.

Auch andere erinnerten sich des geheimnisvollen Luckenwalders. Als sich in den 80er Jahren manche das „Schwerter-zu Pflugscharen-Denkmal“ auf den Parka nähten, tauchte in der märkischen Kleinstadt das Porträt des schwarzhaari-

gen Rebellen auf. Zwölf Aufnäher wurden hergestellt, vier getragen. Solche Zivilcourage war selten, denn jeder kannte das Risiko.

Mit der Wende wird alles anders, dachte Bruder Helmut. Er schlug nun der Oberschule, die 1973 nach Lenin benannt worden war und diesen Namen schnell vom Portal gemeißelt hatte, vor, des frühen Widerständlers zu gedenken. Eine schlichte Tafel sollte es wenigstens sein, in der Aula angebracht, wo Rudi Dutschke seine ungelenke, aber mutige Rede gehalten hatte. Vielleicht aber könnte man sogar die Schule nach ihm benennen.

Dem neuen Direktor Michael Kohl, Mathelehrer aus Jüterbog und bis zu deren Abwicklung Lehrer an der Kinder- und Jugensportschule, ging es jedoch wie Kornelia Wehlan und Elfi von Faber Dutschke? Woher sollte er von ihm wissen? Kühl sein Bescheid: „Die 68er Bewegung gehört zu Westdeutschland. Was haben wir damit zu tun?“ So ähnlich muß es auch bei der Schulkonferenz angekommen sein, denn ohne große Diskussion wurde eine Gedenktafel abgelehnt, vom Schulnamen gar nicht erst zu reden. Unangepaßte, Aufrührer gar sind keinem System geheuer; Vorbilder können sie erst recht nicht sein.

Aber nicht alle in Luckenwalde wollten es dabei bewenden lassen. Eine Handvoll Schüler fragte nach und fand, daß sie sehr viel mit Rudi Dutschke zu tun haben. „Der erste Schuß fiel an unserer Schule“, meinten sie und produzierten unter diesem Titel eine feuerrote Sonderausgabe ihrer Schülerzeitung. Einige ihrer Eltern unterstützten sie, die Sache kam vor die Stadtverordnetenversammlung, die von der Entscheidung des Gymnasiums erst aus der Zeitung erfahren hatte. Die Stadt konnte und wollte in die Kompetenz der der Kreisverwaltung unterstehenden Schule nicht eingreifen, aber Bürgermeister Peter Blohm hatte eine listige Idee: Wie wäre es mit einer Tafel vor der Schule, auf städtischem Territorium?

Die Schüler jubelten: „Juhu - wir kriegen eine Gedenktafel!“ Aber der Direktor und viele seiner Lehrer ließen nun erkennen, daß sie Rudi Dutschke nicht aus Unwissenheit ablehnten, sondern gerade weil sie von ihm genug zu wissen glaubten. Zum Teil das, was sich in DDR-Zeiten diffus festgesetzt hatte und woran sich auch Bürgermeister Blohm erinnert: „Für mich war er ein Revoluzzer und Schreihals, einer mit ziemlich großer Klappe und schriller Stimme.“ Dazu die neue Lesart, wie sie Direktor Kohl verkündete: „Als der ,Ho-Chi-Minh' auf dem Ku-

dämm gerufen hat, sind die Russen in Prag einmarschiert.“ In Leserbriefen an die örtliche Presse wurde mart noch deutlicher Da war Dutschke wieder ein „jämmerliches Schwein“, ein „Chaot und Linksläufer“, „ein machtbesessener Polemiker“ Und schließlich: „Wenn sich einer von der 'Rudi-Dutschke-Schule' irgendwo zum Studium bewirbt, wird er doch gleich in die rote Ecke gestellt.“ Unausrottbarer vorauseilender Gehorsam. „Die sollen sich nicht schämen für mich in Luckenwalde“, hatte Dutschke einmal gesagt. Er könnte es heute wiederholen.

Denn der Direktor schickte der Stadtverordnetenversammlung einen vierseitigen Brief, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. „Wir wollen nicht den nun losgewordenen Herrn Lenin durch Herrn Dutschke ersetzen und den erneuten Personenkult praktizieren“, verlangte er, aber die Abgeordneten stimmten - quer durch alle Parteien - fast einmütig der Aufstellung einer Tafel zu. Aus Einsicht? Oder nur, weil sie den sich in der Kreisverwaltung breitmachenden Zossenern - „Bei uns bestimmen Wessis und Zossis“, sagt man in Luckenwalde - eins auswischen wollten?

kerstreit , aber Helmut Dutschke und ein Häufchen Schüler wollten mehr Juliane Schiller, Karla Weigt, Nadine Weidner, Kerstin Reinhold, Maik Göring und einige andere taten sich zusammen, um für eine Ausstellung zu arbeiten. Sie reisten umher, schrieben

lm Prozeß des Erlernens des aufrechten Gangs in Richtung Freiheit mit Hilfe des politischen Klassenkampfes werden wir Sozialisten und Kommunisten es unvermeidlich lernen müssen, das Selbstbestimmungsrecht der „deutschen Nation“ sozialistisch zu konkretisieren. Ich hoffe, daß die Genossen in der DDR dies als solidarische Kritik begreifen. Solidarische Kritik ist für mich freilich immer radikal. (Rudi Dutschke, 1974)

Briefe, studierten Archive, sammelten Zeitdokumente. Einer mußte das koordinieren, in produktive Bahnen lenken. Acht oder neun Geschichtsund Politiklehrer arbeiten am Gymnasium - aber alle winkten ab. Keine Zeit, keine Vorkenntnisse, kein Interesse. Die Englischlehrerin Elfi von Faber sagte sich schließlich: „Wenn junge Leute schon mal etwas Vernünftiges tun wollen, kann es doch nicht am Desinteresse der Lehrer scheitern.“ Sie nahm sich der Sache an, vielleicht auch ein wenig aus Trotz, weil sie merkte: „Wer früher besonders linientreu war, ist jetzt am meisten gegen Dutschke.“ Zivilcourage war und bleibt verdächtig.

Seit einigen Wochen - und noch bis zum 26. Mai - läuft die Ausstellung in Luckenwal-

Christlicher Sozialist zu sein und dahinter zu stehen! nicht von Lügen, Halbwahrheit und „marxistisch-leninistischer“ Anpassungshinnahme zu leben, bringt eindeutig Schwierigkeiten. (Rudi Dutschke, 1965)

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