Das vergessene Treffen Schmidt-Gierek

»Heimgeführte« Spätaussiedler aus Polen und ihre Rechte

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit diesem kurzen Text möchte ich etwas in Erinnerung rufen, das in den Diskussionen über das »Restitutions«-Verlangen für früheres deutsches Eigentum in Polen bisher völlig ausgeblendet war. Bei den Rückgabe- bzw. Entschädigungsforderungen der »Preußischen Treuhand« handelt es sich auch um die Vertretung von Ansprüchen einer ganz konkreten Gruppe von Deutschen: ehemalige polnische Bürger, die Polen in den 70er und 80er Jahren im Rahmen der so genannten Familienzusammenführung verlassen haben. Für die detaillierte Darstellung dieser Problematik reicht hier der Raum nicht aus. Viele deutsche Autoren haben dafür, wie auch der Verfasser dieses Textes, in der Vergangenheit viel Papier verbraucht. Zuletzt habe ich mich damit in meinem 1979 veröffentlichten Buch »Prosze o powrot do Polski« (Ich bitte um die Rückkehr nach Polen) befasst. Schon 1956 hatte ich die Präsidentin des Polnischen Roten Kreuzes, Dr. Domanska, zur Familienzusammenführung nach den Konventionen von Toronto und New Delhi des Internationalen Roten Kreuzes befragt. Sie betraf Deutsche ohne »polnische Papiere« - etwa 400000 Menschen -, die nach dem Kriege als Spezialisten oder andere notwendige Arbeitskräfte zurückgehalten worden waren und nun, in Rahmen der Liberalisierung nach dem »Polnischen Oktober«, zu ihren Familien in beide deutsche Staaten ausreisen durften, davon etwa 40000 in die DDR. Diese Familienzusammenführung ist strikt von den späteren Übersiedlungen bis zum Ende der Volksrepublik Polen im Jahre 1989 zu trennen. Nach 1945 verblieb nämlich, vorwiegend in Oberschlesien, noch eine beachtliche Gruppe von ungefähr 700000 »Autochtonen«, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges individuell um die Zuerkennung der polnischen Staatsbürgerschaft nachgesucht und diese auch mit Dokumenten und Zeugenaussagen zu beweisen hatten. Wie ich im gemeinsam mit Hannes Hofbauer verfassten Buch »Schlesien. Ein europäisches Kernland im Schatten von Wien, Berlin und Warschau« (Promedia 2000), einräumte, wurde da nicht selten bei der Verifizierung nachgeholfen. Wie auch immer: Freiwillig oder auch unter Druck der manchmal unsinnigen, tölpelhaften »Repolonisierung« zu polnischen Staatsbürgern geworden, wollten viele dieser Menschen in die Bundesrepublik ausreisen. Und dafür setzten sich alle Bundesregierungen ein. Ihr erklärtes Ziel war, diese Menschen »heimzuführen«. Willy Brandt argumentierte in seiner nach der Unterzeichnung des Vertrags vom 7. Dezember 1970 in Warschau gehaltenen Rede an die Bundesbürger gewandt, so wie Adenauer 1955 die Kriegsgefangenen nach Hause gebracht habe, so wolle er dazu beitragen, den »Deutschen in Polen« zur Ausreise zu verhelfen. Man möge doch mal in Dokumenten des Auswärtigen Amtes die Ausführungen von dessen Sprecher Guido Brunner oder gar des Regierungssprechers von Wechmar nachlesen: Da steht schwarz auf weiß, der Bundesregierung liege sehr daran, ausreisewilligen Deutschen in Rahmen humanitärer Hilfe den Weg in die Bundesrepublik zu ebnen. Sie betonten auch, dass dies keine »neue Aktion« sein solle, sondern dass jeder Fall individuell zu behandeln sei. Es hieß sogar, der gute Wille Polens werde an der Zahl der Genehmigungen gemessen. Anlässlich der KSZE-Konferenz in Helsinki kamen in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 1975 Bundeskanzler Helmut Schmidt und der 1. Sekretär der PVAP, Edward Gierek, zusammen und machten sozusagen einen »Kuhhandel«: Für eine Milliarde DM »Pauschale«, die als Rückerstattung polnischer Sozialausgaben zur Behandlung von Kriegsopfern bezeichnet wurde, versprach Gierek, weitere 125000 Menschen in die BRD ausreisen zu lassen. Der ehemalige polnische Botschafter in Bonn, Waclaw Piatkowski, der den beiden Herren als Dolmetscher diente, erzählte mir von diesem Treffen. Es war dabei u.a. davon die Rede, dass die Ausreisenden für ihre »Hinfahrt-Fahrkarte« ihre polnische Staatsbürgerschaft mitsamt ihrem Eigentum an Immobilien hinterlassen. Das ist der Punkt. Man kann ja dazu bei Altbundeskanzler Helmut Schmidt nachfragen. Oder bei Hans-Dietrich Genscher, der in der Bundestagsdebatte vom 16. Februar 1976 die Hoffnung aussprach, dass nach Erreichen der in Helsinki »ausgehandelten« Zahl zu den vereinbarten Bedingungen die Ausreise weitergehen werde. Hinzunehmen kann man auch ein vom 23. September 1977 datiertes Merkblatt des Bundesausgleichsamtes, in dem übrigens auch der Hinweis auf die Lastenausgleichspflicht des Bundes für die Spätaussiedler enthalten ist. Wurde etwa diese Pflicht des Bundes nicht erfüllt? Bei Begegnungen mit Hunderten von Spätaussiedlern, mit denen ich seinerzeit in den Lagern Friedland, Unna-Massen, Offenbach-Bürgel und an anderen Orten sprach, gewann ich den Eindruck, ja die Überzeugung, dass sie wussten, mit der Ausreise als Spätaussiedler in Polen alles, was sie besaßen, hinter sich gelassen zu haben. Für jene von der rauen Wirklichkeit der BRD enttäuschten Menschen, die nach Polen zurückgekehrt sind - und es gab ja solche, ich habe auch mit ihnen gesprochen -, ergaben sich ernsthafte Probleme: Für ihr Eigentum an Haus und Hof, auf das sie bei der Ausreise verzichtet haben, konnte nur schwer und nicht immer »Ersatz« gefunden werden. Ob der bei der Ausreise erzwungene Eigentumsverzicht aus heutiger Sicht rechtens war, ist ein ganz anderes Thema.

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