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Verrat an der Demokratie

Der Umgang mit Frankreichs verurteiltem Ex-Präsidenten zeigt, was Reiche und Mächtige von unabhängiger Rechtssprechung halten

Letzter Gruß für seine Anhänger: Nicolas Sarkozy am Dienstag vor seiner Abfahrt ins Gefängnis
Letzter Gruß für seine Anhänger: Nicolas Sarkozy am Dienstag vor seiner Abfahrt ins Gefängnis

Fast niemandem dürfte entgangen sein, dass Ex-Präsident Nicolas Sarkozy am Dienstagmorgen auf dem Weg ins Gefängnis ein Exemplar von Alexandre Dumas’ »Der Graf von Monte Christo« in seinem bescheidenen Gepäck hatte. Die Botschaft war klar: Der zu Unrecht Verurteilte trotzt dem Schicksal, kehrt schließlich in die Gesellschaft zurück, honoriert seine Unterstützer und rächt sich an seinen Widersachern.

Die Internationale

Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxem­burgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten inter­nationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem inter­natio­nalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.

Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.

In dieser Hinsicht wird Nicolas Sarkozy nicht allzu viele Sorgen haben. Die Unternehmen und Konzerne, mit denen er Geschäfte macht oder denen er sogar vorsteht, wie Lagardère und Accor, nehmen ihm seine Verurteilung oder seine diversen rechtlichen »Probleme« nicht übel. An Freunden wie Vincent Bolloré (ein rechtskonservativer französischer Industrieller – d. Red.) mangelt es ihm keineswegs. Und sein Unterstützerkreis geht weit über die mehreren Hundert Demonstranten bei der erbärmlichen Kundgebung im 16. Arrondissement von Paris hinaus, die anlässlich Sarkozys Überführung ins Gefängnis stattfand.

Seit Wochen betonen rechte und rechtsextreme Kolumnisten, dass das Urteil gegen Sarkozy ein Justizskandal sei. Auch Justizminister Gérald Darmanin zögerte nicht, öffentlich zu erklären, dass er Sarkozy im Gefängnis besuchen werde. Und der derzeitige Präsident der Republik, Emanuel Macron, hielt es für angebracht, den früheren ersten Mann im Staat vor dessen Inhaftierung im Élysée-Palast zu empfangen. Er erklärte, es sei »menschlich normal«, einem Amtsvorgänger diese Ehre zu erweisen.

L’Humanité

Die französische Tageszeitung L’Humanité wurde 1904 vom Sozialisten Jean Jaurès gegründet. Ursprünglich als Sprachrohr für die sozialistische Bewegung gedacht, vertritt sie seitdem konsequent linke und sozialistische Positionen. Sie setzt sich für soziale Gerechtigkeit, Arbeitnehmer*innenrechte und weltweiten Frieden ein.

Die Zeitung ist das ehemalige Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). 1999 entfiel der explizite Hinweis auf die Partei. Seit 2004 gehört die Zeitung zu 40 Prozent der PCF, Freund*innen und Mitarbeiter*innen halten je zehn Prozent, die Gesellschaft der Freunde 20 Prozent und Großunternehmen wie Sparkassen, der Sender TF1 und der Rüstungskonzern Lagardère den Rest. Heute arbeiten bei der L’Humanité etwa 60 Redakteur*innen; die Zeitung hat etwa 40 000 Abonnent*innen. Das 1930 erstmals begangene Pressefest, die Fête de L’Humanité, ist bis heute ein wichtiger Termin des gesellschaftlichen Lebens in Frankreich.

Offensichtlich gibt es für die Mächtigen und Milliardäre Menschen, die »menschlicher« sind als andere. Denn auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die kein Mitspracherecht oder keine Unterstützung haben, selbst bei kleinen juristischen Verfehlungen. Es scheint so, als gäbe es zweierlei Gerechtigkeit.

Erinnern wir uns: Sarkozy ist, trotz Berufung, wegen krimineller Verschwörung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das, was gerade geschieht, berührt die Grundfesten der Demokratie. Es ist Ausdruck dessen, wie die Mächtigen und Superreichen das Recht ignorieren und verdrehen – was von den Medien der Milliardäre auch noch unterstützt wird. Was wir erleben, ist ein Verrat an der Demokratie.

Dieser Text ist am 21. Oktober in unserem Partnermedium »L’Humanité« (Frankreich) erschienen. Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.

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