Biochemie und Rassenforschung

Die zwiespältige Karriere des deutschen Chemie-Nobelpreisträgers Adolf Butenandt

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Dass es heute die Anti-Baby-Pille gibt, verdanken wir nicht zuletzt dem deutschen Biochemiker Adolf Butenandt (1903-1995), der als Erster die weiblichen Sexualhormone Östron und Progesteron isoliert und synthetisiert sowie deren Verwandtschaft zu den Steroiden nachgewiesen hat. 1936 wurde er zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie in Berlin-Dahlem ernannt und erhielt 1939 für seine Hormonforschungen den Nobelpreis für Chemie. Nach dem Krieg setzte er nahezu ungebrochen seine Karriere bei der Max-Planck-Gesellschaft fort und war von 1960 bis 1972 als Nachfolger Otto Hahns deren Präsident. 14 Mal wurde Butenandt mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet und galt bis in die 80er Jahre im In- und Ausland als untadeliger Forscher, der sich trotz seiner führenden Stellung im Wissenschaftssystem des Dritten Reiches nicht wie viele seiner Kollegen dem unmoralischen Geist jener Zeit gebeugt habe. Erste Kratzer bekam diese Legende 1984, als der Kölner Molekularbiologe Benno Müller-Hill den Verdacht äußerte, Butenandt sei über die Menschenexperimente des SS-Arztes Josef Mengele in Auschwitz zumindest informiert gewesen. Denn Mengele handelte im Auftrag des Anthropologen Otmar von Verschuer, der in Dahlem Kollege, Nachbar und Freund von Butenandt war. Statt sich diesen Vorwürfen jedoch öffentlich zu stellen, verhinderte Butenandt mit Unterstützung der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft die Veröffentlichung eines mit Müller-Hill geführten Interviews über seine Tätigkeit während des Dritten Reiches. »Butenandt hatte daraufhin bis zum Ende seines Lebens keine Anwürfe gegen seine Vergangenheit mehr abzuwehren«, heißt es lapidar in einer kürzlich erschienenen Darstellung über die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zwischen 1933 und 1945. Darin beschäftigen sich elf Autoren insbesondere mit der Frage, ob Butenandt tatsächlich »seit 1943 im Zentrum der deutschen Kriegs- und Vernichtungsforschung« stand, wie in den letzten Jahren gelegentlich behauptet wurde. Die Wissenschaftler durften zu diesem Zweck erstmals den umfangreichen Nachlass Butenandts im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft einsehen, der für die öffentliche Nutzung noch bis zum Jahr 2025 gesperrt ist. »Alle Beiträge«, betonen die Herausgeber in ihrer Einleitung, »konnten daher weitgehend aus neu erschlossenen Quellen erarbeitet werden.« Obwohl der Sammelband keine neuen spektakulären Erkenntnisse bietet, trägt er zumindest dazu bei, die mitunter sehr emotional geführte Diskussion um Butenandt wieder in sachliche Bahnen zu lenken. So wurde bisher etwa vermutet, dass der Nobelpreisträger nach Kriegsende seinen Nachlass gezielt von belastenden Dokumenten gesäubert habe. Denn es fehlen darin nahezu alle Berichte über seine als kriegswichtig eingestuften Projekte sowie der dazugehörige Briefwechsel. Dagegen machen die Autoren des Buches geltend, dass Butenandts Institut ab dem Spätsommer 1943 schrittweise von Berlin nach Tübingen verlagert wurde, so dass sein Nachlass nach dem Krieg in die Hände französischer Spezialeinheiten fiel, die einen großen Teil der Unterlagen konfiszierten und später nicht mehr zurückgaben. Andererseits hat Butenandt mehr als einmal versucht, seine Tätigkeit während des Dritten Reiches zu verschleiern. So bestritt er hartnäckig, jemals der NSDAP angehört zu haben. Dass er als aktives Mitglied des Jungdeutschen Ordens vor 1933 die Gewaltpolitik Hitlers strikt ablehnte, stimmt vermutlich. Gleichwohl trat er am 1. Mai 1936 in die Nazi-Partei ein, weil er ansonsten nicht Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie hätte werden können. Drei Jahre später sprach er voller Enthusiasmus über das neue »Weltbild Europas«, das sich »nach dem Willen des Führers« verändere, und hatte ebenso gegen dessen Kriegspolitik lange nichts einzuwenden. Auch wenn Butenandt nicht direkt in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt war, wie die Autoren hervorheben, einige seiner Mitarbeiter waren es. Etwa Gerhard Ruhenstroth-Bauer, der mit Kindern aus der Psychiatrischen Landesanstalt in Brandenburg-Görden Versuche in einer Unterdruckkammer durchführte, um die Auswirkungen von Sauerstoffmangel auf den menschlichen Organismus zu untersuchen. Dennoch wurde der so belastete Wissenschaftler später zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried bei München berufen. In den Jahren 1943/44 erhielt Otmar von Verschuer, der seinerzeit das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin leitete, von seinem ehemaligen Schüler Dr. Dr. Mengele aus Auschwitz »Blutproben von über 200 Personen verschiedenster rassischer Herkunft«. Hierin hoffte er »spezifische Eiweißkörper« zu finden, um auf deren Grundlage eine »naturwissenschaftlich exakte Methode der Rassenidentifikation« zu entwickeln. Da dieses Problem nach seiner Meinung auch ein biochemisches war, bat er Butenandt um Hilfe. Dieser stellte Verschuer ab November 1944 seinen in Berlin verbliebenen Mitarbeiter Günther Hillmann zur Verfügung, der bis Februar 1945 an den Blutpräparaten arbeitete. Butenandt selbst hatte zu jener Zeit bereits seine Tätigkeit in Tübingen aufgenommen, wo später das von ihm geleitete Max-Planck-Institut für Biochemie entstand. Dennoch klingt es höchst unglaubwürdig, was er daran anknüpfend 1947 im Zeugenstand des I.G. Farben-Prozesses erklärte: Bis Kriegsende habe er nie etwas von Auschwitz gehört. Selbst die US-Militärbehörden hegten da anfangs starke Zweifel und setzten den Namen des Nobelpreisträgers 1945 auf eine Fahndungsliste von Personen, die im Verdacht standen, an KZ-Menschenversuchen beteiligt gewesen zu sein. Doch bereits im Juni 1947 wurde er von dieser Liste wieder gestrichen und wenig später von der Spruchkammer der Tübinger Universität als »entlastet« eingestuft. Für Selbstkritik hingegen sah Butenandt zeitlebens keine Veranlassung, denn er habe, so seine Begründung, auch im Dritten Reich nur »reine Wissenschaft« betrieben. Wolfgang Schieder/Achim Trunk (Hg.): Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wissenschaft, Industrie und Politik im »Dritten Reich«. Wallstein Verlag Göttingen, 450 S., 34 EUR

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