Das 800-Einwohner-Dorf Jühnde im Kreis Göttingen ist die erste deutsche Gemeinde, die ihre Energieversorgung komplett auf Biomasse umstellt. Am Freitag setzten die Bundesminister Renate Künast und Jürgen Trittin (beide Grüne) dafür offiziell den ersten Spatenstich.
Eine Kirche, eine Kneipe, ein knappes Dutzend Bauernhöfe - auf den ersten Blick wirkt Jühnde im Kreis Göttingen wie ein normales Dorf. Nur eine kleine Holztafel am Ortseingang weist auf das große Vorhaben hin. »Bioenergiedorf Jühnde - Einmalig in Deutschland« steht auf dem Schild. Die Erdarbeiten haben bereits im Oktober begonnen. Auf einem gemeindeeigenen Grundstück entstehen eine Biogasanlage und ein Blockheizkraftwerk. »In der Biogasanlage werden Gülle von Kühe und Schweinen sowie nachwachsendes Gras und Grünschnitt vergoren«, erklärt der Sprecher der kommunalen Betreiber-Gesellschaft, Eckhard Fangmeier. Das Gas verbrennt in einem Motor, der einen Generator antreibt.
Das Kraftwerk kann jedes Jahr über vier Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen und ins Netz einspeisen - fast drei Mal so viel, wie das Dorf jährlich verbraucht. »Die Verbrennungswärme reicht im Sommer für Heizung und Warmwasser«, sagt Fangmeier. Den zusätzlichen Bedarf im Winter soll ein mit Holz befeuertes Hackschnitzelheizwerk decken. Aufwendiger als die Erzeugung werde die Verteilung der Wärme. »Wir müssen fünf Kilometer Leitungen mit Wärmetauschern, Messuhren und Heizkesseln installieren.«
Wissenschaftler der Universität Göttingen wählten Jühnde vor drei Jahren unter 20 Bewerbern aus. Im Dorf gibt es noch relativ viele Vollerwerbs-Landwirte. Und die Jühnder Bauern sollen die Biogasanlage schließlich mit Gülle, Gras und Grünschnitt beliefern. Mit ausschlaggebend für die Entscheidung war aber auch die Bereitschaft der Bewohner. In einer Umfrage hatten 85Prozent die Bioenergie-Idee als »gut« oder sogar »sehr gut« bezeichnet. Mindestens 70Prozent der Haushalte wollen sich an das neue Wärmenetz anschließen lassen. Die Vereine, der Gemeinderat und der Bürgermeister stehen voll hinter dem Vorhaben. Eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften, organisierte Bürgerversammlungen und wirbt im Internet für das Vorhaben (www.bioenergiedorf.de).
Die Göttinger Uni wird das Bioenergiedorf wissenschaftlich begleiten. Schon jetzt sind die Forscher von positiven Auswirkungen für die Umwelt überzeugt. Öl, Gas und Kohle werden immer knapper und belasten bei der Verbrennung das Klima, sagt Projekt-Sprecher Volker Ruwisch. Holz und andere Biomasse seien dagegen »CO-neutrale« Rohstoffe. Immerhin 3300 Tonnen Kohlendioxid können im Bioenergiedorf Jühnde jedes Jahr eingespart werden.
Die Anlagen und Leitungen kosten insgesamt rund 5,5Millionen Euro. Fördergelder gibt es vom Bund, vom Land Niedersachsen und dem Landkreis Göttingen. Alleine die dem Künast-Ministerium unterstehende Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe bewilligte 1,3 Millionen. Trotzdem müssen die Jühnder auch in die eigene Tasche greifen: 1500 Euro Einlage in die genossenschaftlich organisierte Betreibergesellschaft und weitere 1000 Euro Pauschale für das Wärmenetz sind pro Haushalt fällig. Gleichwohl sprechen für die Energie-Umstellung auch ökonomische Gründe. Seien die Anfangsinvestitionen erst einmal abgeschrieben, blieben die Energiepreise auf lange Sicht stabil, rechnen Experten vor. Anstatt an die Energiekonzerne fließt das Geld in die Region. In der Land- und Forstwirtschaft, im Handwerk und in der Biogasanlage selbst könnten neue Arbeitsplätze entstehen.
Eckhard Fangmeier träumt schon vom Aufbau eines »Kompetenzzentrums Bioenergie« in Jühnde. »Wir wollen ein richtiges Modelldorf werden«, sagt er. Auch die Uni Göttingen freut sich über den Baubeginn. »Die Idee vom energie-autarken Dorf, an dem viele Akteure unermüdlich mitgewirkt haben, wird endlich Wirklichkeit«, so Projektleiter Professor Hans Ruppert. Bundesumweltminister Trittin ist schon jetzt davon überzeugt, dass das Bioenergiedorf im In- und Ausland viele Nachahmer finden wird.
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