Akw Gundremmingen: Abschied mit Doppelwumms

Zwei Kühltürme des stillgelegten Kernkraftwerks Gundremmingen werden gesprengt

Das Gelände um die Kühltürme wird bei der Sprengung großräumig abgesperrt sein.
Das Gelände um die Kühltürme wird bei der Sprengung großräumig abgesperrt sein.

Gundremmingen im bayerisch-schwäbischen Landkreis Günzburg hat knapp 1500 Einwohner, ein goldenes Atomsymbol im Gemeindewappen und eine Blaskapelle. Sie tritt regelmäßig bei Dorffesten und Veranstaltungen auf. Doch beim größten Spektakel seit Jahrzehnten kommen die Musikantinnen und Musikanten nicht zum Einsatz: bei der Sprengung der beiden Kühltürme des einstmals größten deutschen Atomkraftwerks an diesem Sonnabend. Mit ihren 160 Metern Höhe sowie einem Durchmesser von 76 Metern an der Taille und 85 Metern an der Mündung werden sie in der Region nur vom gut 30 Kilometer entfernten Ulmer Münster mit seinem welthöchsten Kirchturm überragt.

Das stillgelegte AKW besteht aus drei Blöcken. Block A, ein Reaktor mit 237 Megawatt elektrischer Leistung, ging 1966 ans Netz. Er war elf Jahre in Betrieb, bis er nach einem schweren Störfall abgeschaltet wurde; das gesamte Reaktorgebäude war dabei großflächig verstrahlt worden. Im Jahr 1975 starben sogar zwei Schlosser bei einem Unfall, die ersten bekannten Todesfälle in einem deutschen Atomkraftwerk.

1976 begann der Bau der beiden 1345-Megawatt-Blöcke B und C, die ab 1984 Strom ins Netz einspeisten, rechnerisch bis zu 30 Prozent des bayerischen Bedarfs. Block B wurde infolge des Atomausstiegs Ende 2017 vom Netz genommen, Block C am 31. Dezember 2021. Die Sprengung von deren beiden Kühltürmen ist der spektakulärste Schritt beim Rückbau.

Das Niederlegen – so heißt das Sprengen in der Fachsprache – soll um 12 Uhr mittags erfolgen. Die beiden Türme werden in einem Zündvorgang gesprengt, fallen aber zeitversetzt. Läuft alles wie geplant, werden die Betonriesen nach wenig mehr als einer halben Minute zu Staub geworden seien. Begleitend werden Wasserpools gesprengt, die rund um die Bauwerke aufgestellt wurden. Das dadurch Dutzende Meter in die Luft geschleuderte Nass soll den Staub binden, der beim Zusammenfallen der Türme entstehen wird.

Eine festgelegte akustische Signalfolge läutet den Vorgang ein: ein langer Ton, zwei kurze Töne, dann der sogenannte Vergrämungsknall, der Vögel und andere Tiere in der Nähe verscheuchen soll. Es folgen der Knall der Sprengung von Kühlturm Eins, wenige Sekunden später von Kühlturm Zwei. Drei kurze Töne signalisieren, dass die Sprengung beendet ist.

»Man hört es definitiv, doch es sind Augenblicksmomente.«

Ulrike Matthes Thüringer Sprenggesellschaft

»Man hört es definitiv, doch es sind Augenblicksmomente«, sagt Ulrike Matthes – die Ingenieurin der Thüringer Sprenggesellschaft hat an diesem Tag das Kommando. Das Unternehmen, das unter anderem bereits die Kühltürme des früheren AKW Grafenrheinfeld in Unterfranken sprengte, hat die Aktion seit Wochen vorbereitet und mehr als 1000 Löcher für den Sprengstoff in die zwei Türme gebohrt.

56 000 Tonnen Beton fallen dann in sich zusammen. Es handele sich um hochwertigen Beton, betont der Energiekonzern RWE, Betreiber des AKW. »Er soll im Anschluss zu Recyclingschotter aufbereitet werden, der ein am Markt gefragter Baustoff ist.« Radioaktiv belastet ist der Beton aus den Kühltürmen nicht. Deshalb gelten für die Sprengung auch keine Strahlenschutzvorschriften.

Der Landkreis Günzburg hat per Allgemeinverfügung eine Sperrzone von mehreren Hundert Metern Umkreis um das Kraftwerksgelände ausgewiesen. Zuwiderhandlungen gegen das Betretungs- und Aufenthaltsverbot will die Behörde mit Bußgeldern bis zu 3000 Euro ahnden. Obwohl Livestreams und Direktübertragungen der örtlichen Medien angekündigt sind, rechnen die Verantwortlichen mit einem großen Andrang von Schaulustigen und erheblichen Verkehrsbehinderungen rund um die Sperrzone. Die Sprengung sei auch deshalb auf einen Samstag gelegt worden, damit kein Schulbus- oder Berufsverkehr beeinträchtigt werde, sagt Gundremmingens Bürgermeister Tobias Bühler (CSU). Andererseits dürften, gerade weil am Wochenende gesprengt wird, erst recht viele Menschen Zeit haben, sich das Spektakel anzusehen.

In den vergangenen Wochen hat Bühler nach eigenen Worten »sehr viele Anfragen« gehabt, ob nicht vielleicht Wurstbuden aufgestellt und Bier ausgeschenkt werden können. An diesem denkwürdigen Tag müsse den vielen Besuchern doch etwas geboten werden. Doch einem »Eventtourismus« hat der Rathauschef gleich den Riegel vorgeschoben: »Da sind wir restriktiv, das wollen wir nicht.« Konsequent ist der Politiker dabei aber doch nicht geblieben. Zusammen mit dem örtlichen Metzger hat er eine »Spreng-Wurst« kreiert. Sie wird im Gundremminger Dorfladen vertrieben und soll »sehr scharf und würzig« schmecken.

nd bleibt machtkritisch

Unterdessen zeigen sich Atomkraftgegner an der bevorstehenden Sprengung nur mäßig interessiert. »Der Kühlturm selber ist für das Atomkraftwerk und das Problem Atommüll belanglos«, sagt Protestveteran Raimund Kamm aus dem 50 Kilometer entfernten Augsburg, Sitz des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben. Von den Türmen sei nie radioaktive Strahlung ausgegangen. Über den »Todesmüll« werde hingegen kaum gesprochen, die meisten Menschen wüssten gar nicht, »wo er in Gundremmingen lagert«.

»Die Sprengung der beiden Kühltürme hat vor allem einen symbolischen Wert«, meint Helge Bauer von der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt. »Sie steht für den endgültigen Rückbau der AKW in Deutschland. Hoffentlich lässt sie auch die gefährlichen Hirngespinste von Jens Spahn und anderen in sich zusammenfallen, Uralt-Atommeiler wieder in Betrieb nehmen zu wollen.« Doch auch wenn die Kühltürme als sichtbare Mahnmale einer über Jahrzehnte verfehlten Energiepolitik nun Geschichte seien, dürfe das nicht über die weiterbestehenden großen Atommüllprobleme hinwegtäuschen.

Der beim Rückbau in Gundremmingen anfallende schwach und mittelradioaktive Atommüll wird zunächst am Standort gelagert, er ist für das noch in Bau befindliche Endlager Schacht Konrad in Salzgitter bestimmt. Das Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle ist sogar das größte in Deutschland. 149 von 192 genehmigten Stellplätzen sind mit Castorbehältern belegt. Es wird noch viele Jahrzehnte in Betrieb bleiben, bis vielleicht Anfang des kommenden Jahrhunderts ein Endlager zur Verfügung steht und befüllt werden kann. In jedem einzelnen Behälter, sagt Raimund Kamm, steckt so viel lang dauernde Radioaktivität, wie bei der Katastrophe in Tschernobyl insgesamt freigesetzt wurde.

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