Zur Curzon-Linie
Zum Leserbrief »Die Vertreibung war Siegerjustiz« von H. Sänger (ND vom 21. Januar):
Im Leserbrief wird die angebliche gemeinsame Haltung der britischen und der Sowjetregierung zwecks Bestätigung der Curzon-Linie als des sowjetischen Landgewinns am Polenfeldzug 1939 hingewiesen - mit den Folgen der Vertreibung. Dazu folgende Bemerkung: Die Curzon-Linie stellte nach dem 1. Weltkrieg den Versuch dar, eine den Sprachgrenzen folgende Landesgrenze zwischen Rußland und Polen zu finden, denn Polen existierte als Staat nach mehr als 100 Jahren wieder und der kaiserliche Raubfrieden von Brest-Ljtowsk konnte nicht Maßstab sein. Polen - anknüpfend an frühere Zeiten im Mittelalter - ließ sich verleiten, zeitgleich mit dem weißgardistischen General Wrangel, der von der Krim her tätig wurde, in die Ukraine einzumarschieren (April 1920). Der Gegenstoß führte die Rote Armee (Juni/Juli) bis Warschau, sie wurde aber zurückgeschlagen (Aug. 1920). Im Gefolge entstand die Ostgrenze Polens weit östlich der Curzon-Linie, sie hatte bis 1939 Bestand. Nach dem 17 9 39 besetzte die Sowjetunion diesen Teil des russischen
Territoriums nach 20 Jahren wieder, sie gab in diesem Zusammenhang Vilnius an Litauen zurück, wo es noch heute ist.
Daß die Sowjetunion bei Ende des 2. Weltkrieges in Europa mit einiger Berechtigung Klarheit für ihre Westgrenze forderte und Churchill das auf der Karte mit den bekannten drei Streichhölzern demonstrierte, zeigt aber auch, daß bei allen drei Alliierten die Überlegung vorhanden war, durch radikale Bereinigung der Siedlungsgebiete ethnische Reibungen zu beseitigen. Churchill hatte auch etwas gut zu machen, denn England hatte seinen Bundesgenossen Polen im September 39 im Stich gelassen, wenn man von der Kriegerklärung an Deutschland ohne Handlungen absieht.
Die Politik, durch Umsiedlungen Probleme zu bereinigen, war in der damaligen Zeit sehr verbreitet. Es sei hier nur an die Teilung Indien/Pakistan erinnert, aber das liegt ja nicht in Europa und ist daher auch für uns nicht schmerzlich. Der Verlauf der Jahre hat gezeigt, daß die Konflikte nicht ausreichend entschärft wurden, die Rezepte waren also nicht tauglich. Warum sie heutzutage auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afrika oder im Mittleren Osten wirksam sein sollen, ist nicht logisch erklärbar Immer ist Siegerjustiz - sprich Machtverhältnis - dabei und immer werden Unschuldige und Unbeteiligte in den Strudel der Ereignisse gezogen.
Harald Nevoigt 03238 Finsterwalde
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