Renault Schließung schlägt ein
Belgien »Nationales Drama« droht belgischem Arbeitsmarkt
Von Ralf Klingsieck, Brüssel
Gestern demonstrierten in Brüssels Europaviertel über4000 Menschen gegen die Mitte des Jahres geplante Schlie-ßung des belgischen Renault-Montagewerkes in Vilvoorde. Davon unmittelbar betroffen sind die 3100 Belegschaftsangehörigen und weitere 1000 Beschäftige in Zulieferwerken.
In Belgien hat die Ankündigung des französischen Automobilkonzerns einen Schock ausgelöst. Während die Medien von einem »nationalen Drama« sprechen, reagierte die Pariser Börse mit einem Anstieg der Renault-Aktie um 13 Prozent. Der im Brüsseler Stadtteil Vilvoorde wohnende belgische Premierminister Jean-Luc Dehaene wandte sich scharf gegen »diese brutale und einseitige Entscheidung«, der Ministerpräsident der flämischen Region, Luc Van den Brande, bestellte Renault-Konzernchef Louis Schweitzer zu einem Gespräch nach Brüssel, das erfolglos blieb. Van den Brande kündigte rechtliche Schritte an, weil Renault nicht den in Belgien gesetzlich vorgeschriebenen »sozialen Dialog« vor Restrukturierungsmaßnahmen und Massenentlassungen geführt habe. Inzwischen hat auch die Brüsseler EU-Kommission eine Untersuchung darüber eingeleitet, ob Renault die geltenden Vorschriften eingehalten hat. In Vilvoorde -1925 als erste Renault-Filiale im Ausland gegründet - wurden 1996 noch 143 000 Autos vom Typ Megane und Clio montiert, und nach Angaben des Betriebsrates hat das Werk keine finanziellen oder Absatzprobleme. Es wurden in den letzten Jahren sogar noch mehrere Millionen
Francs in die Aufstellung neuer Maschinen investiert.
Die Beschäftigten sind unmittelbar nach der Ankündigung der Werkschlie-ßung am Freitag in den Streik getreten und verhindern seitdem den Abtransport der mehr als 4000 fertig montierten Autos vom Werksgelände. Der Gesamtbetriebsrat von Renault in Paris hat sich mit den belgischen Arbeitern solidarisch erklärt. Nach seinen Angaben stehen über die Werkschließung in Belgien hinaus in diesem Jahr auch in Frankreich 2700 Entlassungen bevor, und für die nächsten Jahre sei im kommerziellen Netz von Renault die Streichung von insgesamt 10 000 Arbeitsplätzen geplant.
Nach bisher noch inoffiziellen Angaben mußte der Konzern 1996 Verluste von vier bis fünf Milliarden Francs hinnehmen. Es handelt sich dabei um das erste Defizit seit 1985. Als Ursache nennt die Unternehmensleitung den Preiskampf auf dem europäischen Markt, der den Ertrag drücke, sowie den Wegfall der staatlichen Prämien für stillgelegte Altfahrzeuge in Frankreich und die Überkapazität des Renault-Konzerns. Darum werde das Restrukturierungsprogramm forciert, in dessen Rahmen bereits 1991 das Werk im spanischen Valladolid, 1992 das in Billancourt und 1996 das in Creil bei Paris geschlossen und die spanische Filiale Setubal verkauft wurden. Von den bisher zwölf Renault-Pkw-Produktionsorten in Europa bleiben Ende dieses Jahres nur noch acht übrig, und auch davon soll 1998 noch einer geschlossen werden. Nachdem in den vergangenen Jahren per Vorruhestandsregelungen und innerbetrieblichen Umsetzungen 1600 bis 1800 Arbeitsplätze pro Jahr gestrichen wurden, rechnen die Gewerkschaften für die nächste Zeit mit reinen Entlassungen.
Die Entscheidung, das Werk in Brüssel zu schließen und die Produktion von dort auf Standorte in Frankreich zu verteilen, erfolgte nur wenige Tage, nachdem die Regierung abgelehnt hatte, sich an einem Plan zur Reduzierung und Verjüngung der Belegschaften französischer Autowerke finanziell zu beteiligen. Renault sowie die Gruppe CSA, zu der Peugeot und Citroen gehören, wollten zusammen 40 000 im Alter zwischen 52 und 57 Jahren in den Vorruhestand schicken und dafür 17 000 junge Arbeiter einstellen.
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