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Europas Rüstungsfahrplan
Die EU-Kommission plant Militärausgaben in Höhe von 970 Milliarden Euro
Der offizielle Name einer am 16. Oktober 2025 vorgelegten Mitteilung von Kommission und Außenbeauftragter lautet frei übersetzt »Fahrplan für die europäische Verteidigungsbereitschaft 2030«. Ungeschminkt und deutlich treffender schrieb das Internetportal Politico von einem »Fahrplan für den Krieg«. Das Dokument enthält einen Mix aus neuen Initiativen, neuen bzw. erhöhten Zielvorgaben sowie einen Fahrplan zur Umsetzung des Maßnahmenpakets, das Anfang März von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Plan zur »Wiederaufrüstung Europas« (ReArm Europe) präsentiert und kurz darauf in das Weißbuch zur europäischen Verteidigung übernommen wurde.
Rüstungsprioritäten
Als zumindest zum Teil neue Elemente werden im EU-Rüstungsfahrplan vier Flaggschiffprojekte präsentiert: ein umbenannter und nun nicht nur auf die Grenzen mit Russland beschränkter Drohnenwall (Europäische Drohnenabwehrinitiative), die Aufrüstung osteuropäischer Staaten auch gegen »hybride Bedrohungen« (Eastern Flank Watch), ein mehrschichtiges, mit der Nato verflochtenes System zur Luft- und Raketenabwehr (European Air Shield) und der Schutz von Weltraumressourcen (European Space Shield).
»Es ist höchste Zeit, die wirtschaftliche Macht Europas in militärische Stärke zu verwandeln.«
Kaja Kallas EU-Außenbeauftragte
Mit allzu vielen weiteren Details geizt das Dokument, dafür sind andere Teile des Rüstungsfahrplans deutlich konkreter. Schon in ihrer Industriestrategie EDIS beklagte die EU-Kommission im März 2024, lediglich 22 Prozent der beschafften Rüstungsgüter würden aus »einheimischer« Produktion stammen. Aus diesem Grund wurde das Ziel ausgegeben, diesen Wert bis 2030 auf 50 Prozent zu steigern. Der Rüstungsfahrplan geht nun noch einmal darüber hinaus und peilt nun bis 2030 den Wert von 55 Prozent an. Ferner werden aktuell unter 20 Prozent der Beschaffungen von mehreren EU-Ländern im Verbund getätigt – bis Ende 2027 sollen es laut Rüstungsfahrplan 40 Prozent sein (im Weißbuch war noch die Rede von 35 Prozent).
Die Auflage länderübergreifender europäischer Beschaffungsprojekte gilt als entscheidender Schritt, um in größeren Mengen bestellen und damit die Abhängigkeit von den USA verringern zu können: »Die zunehmende Ausrichtung der Verteidigungsinvestitionen auf gemeinsame Beschaffungen wird ein entscheidender Faktor für die Einsatzbereitschaft sein, da die Bündelung der Nachfrage und Skaleneffekte dazu beitragen werden, die Produktionskapazitäten der europäischen Verteidigungsindustrie zu steigern (...). Durch die Bündelung der europäischen Nachfrage werden die Kosten gesenkt, da die Mitgliedstaaten sich nicht gegenseitig überbieten, und ihre Kaufkraft insgesamt verbessert.«
Anschließend werden im Rüstungsfahrplan 2030 neun Prioritätsbereiche benannt, in denen solche Beschaffungsprojekte künftig bevorzugt aufgelegt werden sollen (im Weißbuch waren es noch sieben). 1. Luft- und Raketenabwehr; 2. Artilleriesysteme; 3. Munition und Flugkörper; 4. Drohnen und Drohnenabwehrsysteme; 5. Militärische Mobilität; 6. KI, Quanteninformatik, Cyber- und elektronische Kriegsführung; 7. Strategische Enabler und Schutz kritischer Infrastruktur. Neu hinzugekommen sind »Marine« und »Landkampf«.
Schließen sich EU-Länder für den Einkauf von Rüstungsgütern in diesen Prioritätsbereichen zu »Kapazitätskonsortien« zusammen, ermöglicht ihnen dies, von neuen Fördertöpfen zu profitieren. Dazu gehört vor allem Safe (Security and Action for Europe), über das zinsgünstige Kredite in Höhe von 150 Mrd. Euro für länderübergreifende Rüstungseinkäufe vergeben werden sollen. Zuletzt einigten sich Kommission, Rat und Parlament bei den Trilog-Verhandlungen am 16. Oktober 2025 auch auf das Rüstungsindustrieprogramm EDIP, mit dem unter anderem die Beschaffung europaweiter Rüstungsgüter direkt bezuschusst werden kann.
Laut Rüstungsfahrplan sollen noch im ersten Halbjahr 2026 für alle Prioritätsbereiche Kapazitätskonsortien und Projekte aufgelegt werden. Gleichzeitig will man sicherstellen, dass die EU-Unternehmen ihre Produktion hochfahren, um die steigende Nachfrage auch bedienen zu können. Vor allem über EDIP soll deshalb die Aus- oder Weiterbildung von Beschäftigten für Tätigkeiten im Rüstungssektor finanziell unterstützt werden – der Rüstungsfahrplan gibt in diesem Zusammenhang bis Ende 2026 das Ziel aus, dem Rüstungssektor 200 000 und bis 2030 sogar 600 000 zusätzliche Arbeitskräfte zuführen zu können.
Finanzen
Das alles will sich die EU bzw. die Bevölkerungen einiges kosten lassen – lobend wird der Anstieg der Militärausgaben der EU-Mitglieder auf 392 Mrd. Euro in diesem Jahr erwähnt (von rund 200 Mrd. im Jahr 2020). Im selben Atemzug wird im Rüstungsfahrplan aber nachgeschoben, dass weitere 288 Mrd. Euro erforderlich seien, um das neue Ausgabenziel von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen (bislang ging die Kommission in ihren Berechnungen von 50 Mrd. Euro weniger aus). Die Militärausgaben der Mitgliedsstaaten würden sich so auf 680 Mrd. Euro summieren, wozu noch weitere 1,5 Prozent des BIP für Militärausgaben im weiteren Sinne hinzukommen sollen, zusammen also rund 970 Mrd. Euro!
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Die EU unterstützt die Mitgliedsstaaten vor allem dadurch, dass sie die Kreditaufnahme durch eine Aufweichung der Schuldenregeln und über zinsgünstige SAFE-Kredite erleichtert, die laut Rüstungsfahrplan bis zum dritten Quartal 2028 mindestens zur Hälfte ausgeschüttet sein sollen. Außerdem schlug die Kommission im Juli 2025 vor, die militärrelevanten Töpfe im nächsten EU-Haushalt 2028 bis 2034 massiv zu erhöhen – allein 131 Mrd. Euro sollen für ein neues Instrument »Resilienz und Sicherheit, Verteidigung und Weltraum« ausgelobt werden, weitere 17 Mrd. Euro für »Militärische Mobilität«. Diese Zahlen macht sich auch der Rüstungsfahrplan zu eigen. Darüber hinaus soll es mit dem künftigen Forschungshaushalt (Horizon Europe), für den 175 Mrd. Euro vorgeschlagen werden, möglich sein, »kritische Technologien mit einem Schwerpunkt auf Verteidigungsanwendungen zu unterstützen.«
Als Begründung für diesen enormen Rüstungsschub wird erneut auf Russland verwiesen, das den EU-Staaten allerdings bereits heute bei allen Großwaffensystemen deutlich unterlegen ist. Es geht deshalb auch darum, dass sich die Europäische Union in den nicht nur mit Russland, sondern auch mit China und inzwischen zunehmend auch den USA immer weiter verschärfenden Großmachtkonflikten militärisch in Stellung bringen will. Die Aussagen der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas bei der Vorstellung des Fahrplans 2030 deuten jedenfalls in diese Richtung: »Unsere Streitkräfte müssen in der Lage sein, jede Krise zu antizipieren (...). Hier gibt es große Chancen, nicht nur für die europäische Verteidigungsindustrie, sondern auch für die europäischen Länder, die wir ermutigen, gemeinsam an (...) Projekten zu arbeiten. Es ist höchste Zeit, die wirtschaftliche Macht Europas in militärische Stärke zu verwandeln.«
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