Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Heinrich Greif wurde vor 90 Jahren geboren

»Diese Stimme ist der Mensch!«

  • Horst Knietzsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 16. Juni 1946 stirbt Heinrich Greif, Schauspieler des Deutschen Theaters im kriegszerstörten Berlin, an den Folgen einer Operation. Im September 1946 erlischt das Leben des Schauspielers Heinrich George nach einer Operation im sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen. Heinrich Greif wird auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof mit allen Ehren beigesetzt, Heinrich George in einem Einzelgrab des Lagers in märkischer Erde begraben. Greif wird im Osten Deutschlands in die Annalen der antifaschistischen Widerstandskämpfer eingeschrieben, in memoriam wird ein Kunstpreis mit seinem Namen gestiftet. Mit George tat man sich in beiden deutschen Staaten schwer Man gedachte seiner als einem der großen Bühnendarsteller und Filmschauspieler Es war aber auch kein Geheimnis, daß der einmal in den zwanziger Jahren den Kommunisten nahestehende Mime 1933 sehr schnell in den Sog des faschistischen Deutschland geraten war In einschlägigen Lexika beider deutscher Staaten waren indes die beiden Männer, wenn auch mit politischer Differenzierung, immer präsent.

Mit dem Herbst 1989 änderte sich das. Der antifaschistische Künstler Heinrich Greif wurde zur Unperson: Aus dem '95er Filmschauspielerlexikon des Henschel-Verlages (von 1971 bis 1989 erschienen in der DDR sieben Auflagen, nun betreut es eine Hamburger Redaktion) ist Greif eliminiert. Heinrich George erfreut sich dagegen weiter einer sachlich-emotionslosen Würdigung.

Grund genug, in diesen Tagen an Heinrich Greif zu erinnern, der vor 90 Jahren, am 11. März 1907, in Dresden geboren wurde. Während des Krieges hörte an

der Elbe, unter Gefahr für das eigene Leben, insgeheim die alte Mutter Greifs mit klopfenden Herzen aus dem Radio die Stimme ihres Jungen: »Achtung, Achtung! Hier ist der Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache.« Nach dem Kriege, als der Berliner Rundfunk aus dem Haus in der Masurenallee erste Hörspiele sendete, erkannten viele Deutsche die Stimme aus Moskau wieder, und Interviews in den Zeitungen lüfteten das Geheimnis des Chefsprechers der deutschsprachigen Sendungen.

Heinrich Greif, Sohn eines Dresdner Postbeamten, war bester Schüler des Wettiner Humanistischen Gymnasiums in Dresden. Die revolutionären Nachkriegsereignisse der zwanziger Jahre hatten den jungen Wahrheitssucher in oppositionelle Kreise geführt. Der Klassenprimus wurde Mitherausgeber und Autor der Jugendzeitschrift »Der Mob«. Kurz vor dem Abitur 1925 wurde er deswegen relegiert, aber er legte die Reifeprüfung in Döbeln ab. In Berlin studierte er drei Semester Jura, Philosophie und Psychologie. Doch seine Liebe galt dem Theater, die Inszenierungen Piscators an der Volksbühne faszinierten ihn. Dort nahm er auch Schauspielunterricht, stand bald selber auf der Bühne, arbeitete mit Piscator, Lotte Loebinger, Hans Otto, Gustav von Wangenheim.

Vertrieben aus Deutschland, wird

Heinrich Greif 1933 in Paris Mitglied der KPD, ist 1934 kurze Zeit in der Sowjetunion, spielt dann in Zürich Theater mit Wolfgang Heinz, Wolfgang Langhoff, Leopold Lindtberg, Emil Stöhr und Robert Trösch. In der vielbeachteten deutschsprachigen Inszenierung von Friedrich Wolfs »Professor Mamlock« mit Kurt Horwitz, Erwin Kaiser, Langhoff und Maria Schanda interpretiert er den Naziarzt Dr. Hellpach als einen gefährlichen, fanatisierten Faschisten, der den jüdischen Arzt Mamlock zum Selbstmord treibt. Die gleiche Rolle hatte Greif in der Hörspielsendung des Berliner Rundfunks übernommen, in der Paul Wegener den Mamlock sprach. Heinrich Greif hat darunter gelitten, daß er häufig auf der Bühne und im Film Rollen von Faschisten verkörpern mußte, vielleicht weil er groß, schlank und blond war, und eine helle, modulationsfähige Stimme besaß.

In der UdSSR, die ihm seit 1935 zur zweiten Heimat geworden war, hat Heinrich Greif in zehn Filmen mitgewirkt, darunter in »Kämpfer« von Gustav von Wangenheim. Allein die Mitarbeit an diesem Film über den Reichstagsbrandprozeß, einem bedeutenden Werk antifaschistischer Künstler in der Emigration, sollte Grund genug sein, Greif nicht den Platz in einem Filmlexikon streitig zu machen. Zumal dort Parteigängern des Films im faschistischen Deutschland, gehätschelten Schaustellern des Regimes, ausreichend Raum eingeräumt wird.

Heinrich Greif gehörte zu den Ersten, die im Mai 1945 nach der Zerschlagung des Faschismus aus Moskau in die alte Heimat zurückkehrten. Er arbeitete in Dresden als Stadtrat für Volksbildung, aber folgte schon im Juni 1945 einem Ruf des Deutschen Theaters in Berlin, spielte dort in Hays »Gerichtstag«, Wolfs »Beaumarchais«, Tschechows »Onkel Wanja« und mit Horst Caspar in Sternheims »Snob« und Shakespeares »Hamlet«.

In Friedrich Wolfs Nachruf auf den toten Freund finden sich die Worte: »Diese Stimme ist der Mensch! ... Und Du stehst plötzlich wieder vor uns, lieber Greif, Du stiller und fester Kamerad, der du hart und weich warst, Verstand und Herz, ja gerade auch Herz, das Du im Leben so schamhaft verbargst...«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -