Alexander und der Pirat

Noam Chomsky über Weltpolitik im 21. Jahrhundert

  • Thomas Klein
  • Lesedauer: 4 Min.
Alle, die Noam Chomskys Analysen zur weltpolitischen Situation im Allgemeinen und der Rolle der US-Politik im Besonderen in den vergangenen Jahren Beachtung geschenkt haben, werden in dem neuen Buch Bekanntes wiederfinden. Dennoch ist dessen Lektüre nicht nur für diejenigen, die den kritischen US-Intellektuellen bisher noch nicht auf dem Zettel hatten, lohnenswert. Es schärft, nach der Wiederwahl von George W. Bush als US-Präsident, die Argumentation für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kampfbegriff »Krieg gegen den Terror« und entlarvt die propagandistische Begleitmusik politischer Kampagnen zur Durchsetzung vitaler wirtschaftlicher Interessen. Chomsky verweigert sich konsequent dem Regierungsblickwinkel - und beschreibt zwei Wege, eine Untersuchung von Terrorismus anzugehen: einen buchstäblichen Ansatz, der den Begriff ernst nimmt, und einen propagandistischen Ansatz, der den Terrorismusbegriff als eine Waffe im Dienst eines Machtsystems konstruiert. »Bei einem buchstäblichen Ansatz beginnen wir mit einer Bestimmung dessen, was Terrorismus ist. Dann suchen wir Beispiele für das Phänomen... und versuchen danach, die Ursachen für und die Mittel gegen das Phänomen zu bestimmen.« Im Gegensatz dazu, so Chomsky im Kapitel »Internationaler Terrorismus: Bild und Wirklichkeit«, verlangt der propagandistische Ansatz eine ganz andere Herangehensweise, bei der »die Verantwortung für den Terrorismus bei einigen amtlich bestimmten Feinden angesiedelt ist«. In allen anderen Fällen würden terroristische Taten ignoriert, vertuscht bzw. als »Vergeltung« oder »Selbstverteidigung« bezeichnet. Die Infragestellung der herrschenden Definition und die sich daraus ergebende, radikal andere Sicht, wird auf leicht eingängige Weise anschaulich gemacht: »Augustinus berichtet von einem Piraten, der von Alexander dem Großen gefangen genommen worden war: "Wie kannst du es wagen, das Meer zu belästigen?", fragte ihn Alexander. "Wie könnt Ihr es wagen, die ganze Welt zu belästigen?", erwiderte der Pirat. "Da ich nur ein kleines Schiff habe, werde ich Räuber gerufen; Euch, der Ihr eine große Flotte besitzt, nennt man Imperator".« Nach Chomskys Ansicht beschreibt die von Augustinus als »elegant und vorzüglich« charakterisierte Antwort des Piraten »recht akkurat die gegenwärtigen Verhältnisse zwischen den Vereinigten Staaten und den verschiedenen Akteuren auf der Bühne des internationalen Terrorismus«. In dem erstmals 1986 herausgegebenen Werk, das nun als überarbeitete und erweiterte Ausgabe vorliegt, spannt der Professor für Linguistik und Philosophie den Bogen über fast zwei Jahrzehnte US-Außenpolitik im Nahen Osten: von der Bombardierung Libyens (1986) und der Iran-Politik der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis hin zur zweiten Intifada und den Folgen der Anschläge auf das World Trade Center in New York. Neben dem Nahen und Mittleren Osten liegt ein weiteres Hauptaugenmerk auf Vorgängen in Mittelamerika, wo die Politik der US-Regierung »und ihrer Günstlinge« u.a. in El Salvador, Guatemala und Nicaragua über viele Jahre nichts anderes als Massaker an der Zivilbevölkerung, Terror und Krieg beinhaltete. Sehr hilfreich zur geschichtlichen Einordnung der kürzlich stattgefundenen US-Präsidentschaftswahl und deren Konsequenzen ist Chomskys Rückblick auf die letzten 20 Jahre US-amerikanischer Außenpolitik. Demnach ist der weltweite »Krieg gegen den Terror« nicht erst seit dem 11. September 2001 fester Bestandteil der US-Politik. George W. Bush konnte auf vorausgegangene Kampagnen seines Vaters und Ronald Reagans im Nahen Osten und in Lateinamerika zurückgreifen. Insbesondere der kürzlich verstorbene ehemalige US-Präsident Ronald Reagan hatte nach Chomsky einen beträchtlichen Erfolg damit, drei politische Ziele miteinander zu verbinden. Diese drei Ziele lauteten: Mitteltransfer von den Armen zu den Reichen, eine starke Forcierung der Aufrüstung und »eine substanzielle Zunahme von Interventionen, Subversionen und des internationalen Terrorismus von Seiten der USA«. Chomsky schreibt: »Eine derartige Politik kann der Öffentlichkeit nicht so präsentiert werden, wie sie beabsichtigt ist. Sie kann nur dann durchgesetzt werden, wenn die Bevölkerung ausreichend von Monstern erschreckt wird, gegen die sie sich verteidigen muss.« In diesem Sinn habe George W. Bush auf dem Feld, das zuvor von Reagan und seinem Vater bestellt worden sei, eine erfolgreiche Kampagne initiiert und für seine Zwecke nutzen können. Habe vor zwanzig Jahren das Feindbild »Kommunismus« als »Reich des Bösen« (Reagan) bestanden, sei an dessen Stelle heute »der internationale Terrorismus« getreten. Eine sich auf derartige (Angst-)Kampagnen stützende Politik erfahre jedoch nur so lange eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, wie »der Blick auf den Terrorismus des Räubers, nicht auf den des Imperators und seines Klientels gerichtet ist«. Das in seinem Vorwort zu findende Versprechen, »ich werde mich nicht an diese Anstandsregeln halten« - sprich: der offiziell verbreiteten Darstellung eine gänzlich andere Sicht der Dinge gegenüber zu stellen - löst Chomsky ein. Noam Chomsky: Pirates and Emperors. Terrorismus in der »Neuen Weltordnung«. Trotzdem Verlag, Frankfurt (Main) 2004. 320S., br., 16 EUR.
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