Fliegenfallen bürgerlicher Politik

Für Olivier David fällt die politische Rechte zu oft auf rechte Diskursstrategien rein

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat mit seiner »Stadtbild«-Äußerung eine rassistische Debatte angezettelt.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat mit seiner »Stadtbild«-Äußerung eine rassistische Debatte angezettelt.

Egal ob bei Kürzungen in den Kulturetats der Länder, bei den geplanten Vollsanktionen für Bürgergeldbeziehende oder bei der Debatte um die Abschaffung der Pflegestufe eins – überall zeigt sich derzeit dasselbe Problem: Rechte und neoliberale Politiker*innen verkaufen die Schrumpfungen und Kürzungen im Kultur- und Sozialsektor als alternativlos. Man könnte meinen, das sei ein guter Moment für linke Angebote. Stattdessen sehen wir eine gesellschaftliche, politische und publizistische Linke, die sich in großer Mehrheit so an den Platz am Rand gewöhnt hat, dass sie sich zum Bewahrer des Bestehenden erklärt.

In dieser Logik wird nicht oder kaum mehr kritisch hinterfragt, welches Spiel gespielt wird. Und welches Spiel es stattdessen bräuchte. Es wird mitgespielt, jedoch vom Spielfeldrand aus. Die Kürzungspolitik im Kulturbetrieb soll zurückgenommen, die Pflegestufe 1 soll beibehalten werden. Auch das Bürgergeld wird gegen das neue Sanktionsregime von Friedrich Merz und den rechten Demagogen von Schwarz-Rot verteidigt – anstatt für eine grundsätzlich andere Politik zu kämpfen.

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der monatlichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.

Besonders gut lassen sich diese Logiken des Verlierens bei der »Stadtbild«-Debatte beobachten. Grünen-Chef Felix Banaszak und andere haben versucht, die Diskussion, die statt von Evidenz von Rassismen geleitet ist, auf links zu drehen – und sind damit gescheitert. Dabei dürfte die Niederlage niemanden überraschen, gehört es doch eigentlich zum linken Einmaleins, dass rechte Diskurse, die von Ressentiment und Affekten geleitet sind, sich nicht einfach von linker Vernunft kapern lassen.

Die kalkulierten Angriffe auf das Bürgergeld und auf eine postdeutsche Gesellschaft lassen sich mit Argumenten nicht gewinnen. Die rituelle Empörung von links, die auf solche Aussagen und Attacken folgt, ist nicht nur hyperpolitischer Selbstzweck – sie ist auch Teil des Rezepts rechter Politik. Anstatt für eine bessere Sozialpolitik zu kämpfen, müssen wir als Linke lernen, aus dieser Logik der Niederlagen auszubrechen. Dafür braucht es ein Bewusstsein für die eigenen Stärken – und die, das zeigt das Scheitern der Taktik des Marschs durch die Institutionen, liegt nicht in den Logiken bürgerlicher Politik, sondern außerhalb.

Angriffe auf den Sozialstaat in der Logik der Sozialstaatlichkeit zu beantworten, das heißt, die vorgegebenen Regeln des Diskurses zu befolgen. Die Fliegenfallen bürgerlicher Politik freut’s. Linke, die die Logik des Bewahrens über die Formulierung eigener Kriterien für eine gute Politik stellen, führen keine eigenen Kämpfe. Sie sind damit beschäftigt, sich in bestimmte Auseinandersetzungen reinziehen zu lassen.

Statt also dahin zu gehen, wo Reichweite, Karriere durch Empörung und das Signalisieren von Widerstand bei gleichzeitigem Befolgen der Skripte rechter Politik warten, gilt es, eine Linke aufzubauen, die es ernst meint mit Armen und Rassifizierten. Es braucht also Strukturen unserer Klasse, in denen wir eigene Parameter bestimmen und sie uns nicht immer nur von den Rechten vorgeben lassen.

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