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  • Politik
  • VW-Jubiläum wirft seine Schatten voraus

Fatale Vorgeschichte eines Weltkonzerns

  • Lesedauer: 6 Min.

Der Diktator und sein Konstrukteur (Porsche) nehmen nach der Grundsteinlegung des VW-Werkes zufrieden im VW-Cabriolet Platz

Foto: Stiftung AutoMuseum VW

Von Dietrich Eichholtz

Es hat nicht erst des voluminösen Bandes von Mommsen / Grieger bedurft, um zu wissen, daß das Volkswagenwerk während des Hitler-Reiches Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge »beschäftigte«. Auch nicht erst der Tagung jüngst in Frankfurt(Main), um die Verstrickung deutscher Firmen in die Greueltaten der Nazis »ans Licht zu bringen«. Die DDR-Faschismusforschung hat hier einiges geleistet; verwiesen sei nur auf die »Anatomie des Krieges« (1969), die achtbändige Dokumentation »Europa unterm Hakenkreuz« (1988-97) und die dreibändige »Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft« (1969-96); letztere verfaßte unser Autor.

Ein deutsches Betriebsjubiläum wirft seine Schatten voraus. Kurz vor Entfesselung des Zweiten Weltkrieges entstand auf Drängen Hitlers und der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF) das Volkswagenwerk. Die Grundsteinlegung erfolgte am 26. Mai 1938. Das Werk wurde »auf grüner Wiese« bei Fallersleben am Mittellandkanal aus dem Boden gestampft. Der von dem Hitlergünstling Ferdinand Porsche entworfene »Volkswagen« sollte dort in Massen produziert werden. Daraus wurde aber nichts. Im Krieg mutierte die halbfertige Fabrik zu einem gewaltigen »Lumpensammlerbetrieb« für die Rüstung, der Kübel- und Schwimmwagen, Bomben und Minen, Panzerfäuste, Zulieferteile für das Bombenflugzeug Ju 88, die Flugbombe und die »Wunderwaffe« V 1 u.a. produzierte. Bereits von 1938 an beschäftigte das Werk »Fremdarbeiter«, zuerst italienische Vertragsarbeiter, im Krieg dann als Zwangsarbeiter Polen, Franzosen, sowjetische Kriegsgefangene und, »Ostarbeiter« sowie Arbeitskräfte aus neun deutsch besetzten Ländern, mehr und mehr auch KZ-Häftlinge. Tausende hungerten, Ungezählte starben im Werk, in Werkslagern und beim Bau der Untertage-Verlagerungsbetriebe. Mit 85 Prozent ausländischen Arbeitern und KZ-Häftlingen stand das Werk in der deutschen Kriegswirtschaft an vorderster Stelle.

Eine Firmengeschichte des Volkswagenwerkes zur Nazi-Zeit haben die Bochumer Historiker Hans Mommsen und Manfred Grieger verfaßt. Nahezu zehn Jahre arbeiteten sie an ihrem Buch, unterstützt von einem Dutzend wissen-

schaftlicher Mitarbeiter und fianziert von der Volkswagen AG. Was vorliegt, ist eine gut lesbare Firmengeschichte mit einer Fülle von Informationen über die wirtschaftliche, technische, soziale und politische Entwicklung des Unternehmens.

Zunächst wird der Aufbau des Werks abgehandelt, das entgegen vereinfachender Auffassung nicht als Rüstungswerk oder als »Schattenfabrik« für den Kriegsfall konzipiert war, sondern anderen, für

das Regime ebenfalls wichtigen Zwecken dienen sollte. Da waren nicht nur die großspurigen Motorisierungsplänen des »Führers«, der bereits an den Krieg um Deutschlands »Größe« und »Ehre« dachte. Die Idee paßte in das sozialdemagogische Konzept der Nazis, die Beschwörung der Gemeinschaft von »Volksgenossen«. Jeder deutsche Arbeiter sollte zu einem Auto kommen. Dies bewog denn auch die DAF unter Robert Ley, den Aufbau des Werks in ihre Regie zu nehmen und es weitgehend mit DAF-Mitteln zu finanzieren - also mit Arbeitergroschen, einschließlich der 1933 geraubten Gelder der Freien Gewerkschaften. Zu kurz greift da die Wertung der Autoren, die das VW-Projekt nur als »ein Luxusspielzeug des nationalsozialistischen Diktators« sehen. (33 f.)

Das VW-Projekt hatte Porsche gegen den Widerstand der mit Rohstoff- und Absatzsorgen kämpfenden deutschen Autoindustrie durchzusetzen. Er war sich dabei massiver Hilfe Hitlers gewiß. Von Opel und von Ford in Detroit warb Porsche erstklassige Fachleute ab. Das Werk bei Fallersleben sollte »nahezu maßstabsgerecht« dem Hauptwerk von Ford in Detroit nachgebaut werden - was die Nazipropaganda allerdings verschwieg.

Großspurig Propaganda gemacht wurde hingegen für den »KdF-Wagen«, den sich die Arbeiter ersparen sollten - mit wöchentlicher Mindestrate von fünf Mark ein Hohn, angesichts euies Arbeiterverdienstes von etwa 100 Mark. Insgesamt zahlten bis Kriegsende 340 000 fast nur mittelständische Sparer 275 Millionen RM ein. Diese Summe ist, so die Autoren, nicht in das Werk, sondern in die Kriegsfinanzierung geflossen.

Porsche und sein Team rechneten damals mit dem baldigen »Endsieg« und der Expansion von Volkswagen über Europa und die Welt. In räuberischer Aktion nahmen sie 1942/43 das Hauptwerk des französischen Peugeot-Konzerns in Montbeliard in ihre Regie. Die »Machtergreifung« von VW in Montbeliard ging unter »massivem Druck auf die Firmen-

leitung von Peugeot« vor sich. Eine Reihe von Peugeot-Direktoren wurde verhaftet; zwei von ihnen überlebten die KZ-Haft in Deutschland nicht.

Bedauerlicherweise haben die Autoren nach eigenen Angaben weder die Akten des Prozesses, der nach dem Krieg gegen Porsche sowie seinen Schwiegersohn und engsten Mitarbeiter Anton Piech in Frankreich geführt worden war, noch Firmenakten von Peugeot einsehen können. Die Gründe hierfür sind wohl im heutigen Verhältnis zu VW zu vermuten.

Lückenhafte Quellenlage erklärt indes nicht, daß die Autoren die Fakten recht vorsichtig werteten und eine deutliche Kennzeichnung von Kriegsverbrechen, an denen die VW-Leitung maßgeblich beteiligt war, vermeiden. Die übergroße Nähe zum Auftraggeber und die finanzielle Abhängigkeit von diesem haben Mommsen und Grieger offenbar bei der Behandlung neuralgischer Punkte ein zu-

mindest für den Fachmann erkennbares gedankliches und sprachliches Korsett angelegt. Das betrifft vor allem die Rolle, die der Hitler- und Himmlerfreund, »Wehrwirtschaftsführer«, SS-Oberführer etc. Porsche - die Galionsfigur der späteren westdeutschen »Wohlstandsgesellschaft« - gespielt hat wie auch die Verantwortung der Werkleitung für das Leid der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.

Gerade über die Lebensumstände der Zwangsarbeiter bei VW liegen genügend Berichte von Überlebenden und andere Dokumente vor. Warum zitieren die Autoren daraus so sparsam, warum verbreiten sie sich so nüchtern und unengagiert über »unhaltbare Zustände«, »tragische Fälle«, »wenig erfreuliche Vorgänge« oder - besonders schief - über »die Verrohung der Beziehungen zwi-

schen Werkleitung und Aufsichtsorganen einerseits und der unentbehrlich werdenden ausländischen Belegschaft andererseits« (S,. 728)?

Neben dem IG-Farben-Konzern war VW das erste deutsche Unternehmen, das , im Frühjahr 1941 mit Himmler über KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte in großem Stil verhandelte. Seit April 1944 existierte das berüchtigte konzerneigene Laagberg-La-'ger als ein Außenlager des KZ Neuengamme. Von den hier internierten etwa 800 Häftlingen, vor allem Franzosen, Russen und Spanier, erlebten vielleicht 40 die Befreiung im Mai 1945. An der entsprechenden Stelle findet man im Buch immerhin die Mahnung: »Daß der ... Leitung des Volkswagenwerkes und ihren Vertragsfirmen eine Mitverantwortung an den Vorgängen auf dem Laagberg zufiel, darf hinter den Verbrechen der SS nicht zurücktreten.« (S. 799)

Nach den verstreuten, nicht sehr exakten Hinweisen der Autoren muß allein der VW-Konzern im letzten Kriegsjahr insgesamt weit über 4000 Häftlinge erhalten haben; Konzernvertreter wählten auch selbst in Auschwitz aus.

Angesichts der aktennotorischen unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter bei VW mutet im Buch die geradezu penetrante Betonung der angeblich »durchweg korrekten«, »durchaus erträglichen«, »geradezu ausgesprochen komfortablen« Unterbringung und Behandlung der Häftlinge bzw Juden im Hauptwerk höchst merkwürdig an. Wenn auch ein Auschwitz-Häftling später aussagte, er hätte in Fallersleben die »schönste Zeit« seines KZ-Daseins verbracht, so ist zu beachten, daß dieses Urteil im Vergleich zu mehrjährigem Aufenthalt in Auschwitz getroffen wurde. Die Erfahrung wochenlanger Ungewisser Fahrt durch halb Europa, in Viehwagen gepfercht, oder das Erlebnis der Selektion auf der Todesrampe von Auschwitz sind freilich weitaus düstere Erinnerungen. Der Historiker hat die Pflicht, Quellen vergleichend, gründlich wie auch mitfühlend zu reflektieren. Niemand, der die Quellen kennt, darf der Legende Vorschub leisten, die deutschen Rüstungsbetriebe, die KZ-Häftlinge beschäftigten, hätten deren Leben gerettet.

Seit Anfang- Februar 1945, so ist inzwischen bekannt, faßte die Reichsgruppe Industrie die Forderungen deutscher Industrieller zusammen, alle KZ-Häftlinge, Juden, Kriegsgefangenen und »unzuverlässigen Ausländer« schleunigst loszuwerden und an Gestapo und Stalag bzw. Arbeitsamt »zurückzugeben«. Der Reichsgruppe Industrie und jedem Industriellen mußte klar gewesen sein, daß eine solche »Rückgabe« an SS und Gestapo unter den damaligen Umständen einem Todesurteil gleichkam - was ja dann das massenweise Sterben während der »Todesmärsche« bezeugte ...

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