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  • Politik
  • Bodo Schulenburg blickt zurück aufs Jahr 1510

Wahrheit und Akten

  • Reinhold Ändert
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Buch interessierte mich zunächst nur wegen des Autors: Bodo Schulenburg stammt aus dem mittleren Adel und heißt in Wirklichkeit Bodo von Schulenburg. In seiner Residenz, einer ausgebauten Laube in Berlin, schrieb er in der Vergangenheit zahlreiche Bücher, Hörspiele und Filme, vor allem für Kinder, in denen es meist um Geschichte ging, um Geschichte, die wenig mit der seiner Sippe zu tun hat. Für sein jüngstes Buch »Hep! Das Feuer soll brennen!« hat er in alten Berliner Gerichtsakten gestöbert und einen Fall zum Vorschein gebracht, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Gemüter in ganz Deutschland erregte: Der Jude Salomon aus Spandau

hatte angeblich von einem Kirchendieb zwei geweihte Hostien gekauft, sie, getunkt in das Blut eines geschlachteten Christenjungen, in den Mazzeteig geknetet und das Brot an seine Glaubensbrüder in ganz Brandenburg verschickt. Zur Strafe wurden deshalb im Jahre 1510 achtunddreißig Juden öffentlich verbrannt. So steht es in den Akten. Philipp Melanchthon und andere aufgeklärte Geister widersprachen schon damals diesem Unsinn und brachten sogar Beweise: Der Beichtvater des Hostiendiebes war zum protestantischen Glauben übergetreten und fühlte sich nicht mehr an das Beichtgeheimnis gebunden. Er berichtete, daß der angebliche Dieb in der Beichte gestanden hätte, dieser Diebstahl sei erfunden worden, um die Juden verbrennen zu können. Bodo Schulenburg erzählt einprägsam, historisch genau. Fast ne-

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benbei macht er seine jungen Leser vertraut mit den Geheimnissen jüdisch-religiöser Rituale. Im Mittelpunkt seiner Erzählung aber steht der unglückliche Hostiendieb, der Kesselschmied Paul Fromm, ein labiler Trinker, der von Hans, einem Spion des Kurfürsten, zu diesem Diebstahl überredet wird, um später dafür, statt der versprochenen Belohnung, aufs Rad zu kommen.

Es wimmelt vor Parallelen zur Gegenwart, eine fiel mir besonders auf: Aus den Akten ist nur ersichtlich, daß der inszenierte Hostiendiebstahl, das Märchen vom geschlachteten Christenjungen und die Hinrichtung der Juden passiert sein soll, um das Christenvolk in Berlin von seiner Hungersnot abzulenken. Das ist wahrscheinlich falsch, obwohl es so in den Akten steht. Im Mittelalter wurden die Juden in allen deutschen Städten regelmäßig hingerichtet und zwar immer dann, wenn die christlichen Bürger bei ihnen hoch verschuldet waren. Das steht zwar nicht in den Akten, kann aber auf Umwegen nachgewiesen werden. Heutige Akten, beispielsweise die des Herrn Gauck, sind, was ihren Wahrheitsgehalt anlangt, oft nicht viel besser. Es werden IM's präsentiert, um Menschen an den Rand ihrer Existenz zu drängen. Die eigentlichen Gründe aber, warum jemand fertiggemacht werden soll, werden sorgfältig verschwiegen. Das darf nicht verwundern, da Geschichte immer eine Wiederholung »bewährter« Strickmuster ist.

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