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  • Wie geht's, Walter Eichenberg?

»Schön, daß mal einer an mich denkt«

Der ehemalige Orchesterleiter aus Leipzig will noch viel sehen von Deutschland

  • Lesedauer: 3 Min.

Eichenberg (I.) Ende der 70er Jahre im Kreis von Kollegen

Foto: Nu-Archiv

Zschopau, die allerorts »Stadtpfeife« genannt wurde. Eichenberg: »Das war eine gute Schule. Wir haben dort das große Einmaleins der Orchestermusik gelernt und von der Begräbnismusik bis zur Sinfonie alles gespielt. Vor allem war es eine der wenigen Schulen, die U-Musik machte.«

Dort lernte er auch seinen Freund und späteren musikalischen »Kampfgefährten« Fips Fleischer kennen, mit dem er 1941 »nach Hamburg aufs Schiff« wollte. Daraus wurde nichts. Der Krieg bescherte ihm erst eineinhalb Jahre Musikkorps, dann den Einsatz an der Front und schließlich eine Kopfverletzung, die glücklicherweise verheilte, so daß er später seine musikalische Laufbahn fortsetzen konnte.

Die brachte ihm eines Tages ein Engagament beim damaligen Orchester Kurt Henkels, aus dem das Rundfunktanzorchester Leipzig

hervorging. Ein besonderer Glücksfall, findet Eichenberg: »Immerhin waren wir die ersten Musiker, die ins Ausland durften. Ich wurde bekannt durch meine Arrangements und meine Auftritte als Solotrompeter. Als Henkels 1959 in den Westen ging und Gerhard Kneifel nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde ich, motiviert durch die Unterstützung der Kollegen, am 1. Januar 1961 Chef des RTO.«

Das sollte er 28 Jahre bleiben eine Zeit, die er nie missen möchte. Der Anspruch, Henkels mit unverminderter Qualität zu ersetzen, konnte aus seiner Sicht nur mit Hilfe der ganzen Truppe erfüllt werden. Eichenberg: »Die Musiker hatten den größten Anteil am Erfolg!« Auftritte ohne Ende, legendäre DDR-Shows vom »Amiga-Cocktail« über »Lutz und Liebe« bis hin zum »Kessel« - überall wa-

ren das RTO und Eichenberg mit von der Partie.

Heute genießt er den Ruhestand sichtlich, weil er keiner ist, der auf die Bühne getragen werden oder dort sterben möchte. Er lacht: »Was wollen Sie? Ich habe alles erreicht, was zu erreichen war. Es fiel mir fast alles in den Schoß. Es war ein sagenhaftes Leben!«

Dieses Leben kann er sich nicht denken ohne seine Frau Helga Brauer Ende der 50er Jahre hatte er die Schlagersängerin durch seinen Beruf kennengelernt, und bis zu ihrem viel zu frühen Tod Anfang der 90er Jahre war sie ihm Lebensgefährtin, Mutter der beiden gemeinsamen Söhne und musikalische Begleiterin zugleich. Es bleiben ihm die Erinnerungen und manches Lied, das er für »die Brauer« komponiert und arrangiert hat. Eichenberg: »Helga ging die Familie vor dem Beruf. Sie war die Lebenslust selber Es war eine Partnerschaft in Harmonie und ohne Affären.«

Der Erfolg hatte für Eichenberg zweifelsohne auch etwas mit der DDR zu tun. Er war immer politisch interessiert, würde trotzdem nie in eine Partei eintreten und sich so einer Doktrin unterordnen. »Ich habe meine Meinung auf künstlerischem Gebiet gesagt, mich loyal in diesen Staat eingebracht und schäme mich keineswegs, dort gelebt zu haben. Den Kunstpreis der DDR, der Stadt Leipzig und den Nationalpreis

schätze ich noch heute sehr hoch ein und bin stolz darauf. Das unterscheidet mich von manchen meiner Kollegen...« Er läßt den Satz unbeendet.

Bei der Frage, welches »System« denn die besseren Musiker habe, lacht Eichenberg verschmitzt: »Die DDR-Orchester waren keineswegs musikalisch schlechter; die Ausbildung war gut und fundiert. Die aus dem Westen waren vielleicht hier und da einen Zahn schärfer und hatten die besseren Bedingungen, Leute einzukaufen. Ein Big-Band-Musiker

aber muß überall top sein. Wo gibt's die klassische Big Band heute eigentlich noch?«

Sein heutiges Leben? Er habe, so Eichenberg, nie auf großem Fuß gelebt, jetzt möchte er die Schönheit Deutschlands genießen und noch viel von ihm sehen. Außerdem: Ellenbogen und Geld seien ohnehin nicht sein Ding. Versonnen schaut er über seinen weitläufigen Garten: »Ich habe keine großen Pläne, sondern erlebe jeden Tag neu. Ich bin zufrieden. Wenn bloß Helga noch da sein könnte...«

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