Hans Brockhage sammelt ganz nebenbei böhmisches Schnitzwerk
Matthias Busse
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Auf dem Leib hatten sie umgeschneiderte graue Uniformen, im Kopf die Ästhetik von Arno Breker oder Josef Thorak. Doch was die Studenten 1947 an der damaligen Hochschule für Werkkunst in Dresden lernten, war für sie neu. Auf einmal galten nicht mehr die pathetischen Plastiken der Nazi-Günstlinge als Maßstab, sondern das eigene Denken. Die jungen Menschen hörten von den Abstrakten und den Modernen, die noch vor wenigen Jahren verboten gewesen waren. Ludwig Renn kam aus Mexiko, um Kulturästhetik zu unterrichten, der von den Nazis entlassene Holzbildhauer Theodor A. Winde kehrte als Professor an die Hochschule zurück und Mart Stam kam aus Magnitogorsk, wo er eine sozialistische Stadt entworfen hatte. Der aus Holland stammende Architekt, der sich bereits am Bauhaus einen Namen gemacht hatte, trat eines Tages an den Arbeitsplatz des 25-jährigen Hans Brockhage. Er warf ein frisch gedrechseltes Schaukelpferd des Studenten um und sagte in holprigen Deutsch: »Du musst machen Pferd, das nicht tot ist, wenn fällt um.« Das Ergebnis dieser Anregung war 1950 die Erfindung des Schaukelwagens, mit dem Kinder in einer der Positionen fahren und in der anderen schaukeln konnten. Brockhages Gefährt blieb wohl das einzige aus der DDR, das auch im Westen mehrfach ausgezeichnet worden ist.
Die »Erntejahre« nennt Brockhage diese Zeit des Anknüpfens an die Avantgarde, deren Ende in Dresden 1950 drei Tschaika-Staatskarossen ankündigten. »Ulbricht ist ausgestiegen und hat die Professoren zur Sau gemacht«, erinnert sich der Künstler an den Auftritt des SED-Vorsitzenden, der die 1949 angestoßene Formalismusdebatte mit seiner Forderung nach Naturalismus politisch entschied. Einige der Gemaßregelten verließen die Hochschule für Bildende Künste, wie sie inzwischen hieß. Doch bei Hans Brockhage war das unkonventionelle Denken bereits auf fruchtbaren Boden gefallen. So kam es, dass er in seinem Atelier im erzgebirgischen Schwarzenberg monumentale Holzplastiken schaffen konnte, die von den Gegnern abstrakter Kunst wohl mehr als architektonische Elemente akzeptiert denn als eigenständige Werke geschätzt worden sind. Und in der Tat ging es dem Gestalter nicht um Dekor, sondern um die Humanisierung von Stahl, Beton und Glas durch Holz. Dafür verarbeitete er das Holz gleich in Waggonladungen. Er schichtet es und bewahrt dem Material bei seinen Eingriffen mit der Kettensäge sein Leben und seine Erhabenheit. Die Oberfläche des Holzes und die Topographie des Erzgebirges vereinen sich in Brockhages Werk zu einer neuen Urwüchsigkeit, die einen Gegenpol zur asketischen Klarheit von Industrieformen schafft, ohne in rustikale Behaglichkeit abzuschweifen. Später verziehen ihm die Kulturoffiziellen seine kopflosen Schreitenden, die keine Figuren, sondern die Idee der Bewegung zeigen. Denn als auch im Westen anerkannter Künstler wurde er zum Devisenbringer.
Naturkräfte will Hans Brockhage sichtbar machen. Dass er sich dabei der Maschine bedient, hatte er bei der Formgestalterin Marianne Brandt gelernt, die Dresden auf dem Höhepunkt der Formalismus-Debatte 1951 verließ. Seine Lehrmeisterin meinte, dass heutige Gestaltung überhaupt nur an der Maschine geschehen könne. Aber dabei geht es ihm nicht um schnelleres Arbeiten. Sondern der Kontakt zu dem maschinellen Werkzeug gebe ihm ein neues Gefühl für die Form. Eher bedauert er, dass Kunst heute so schnell entsteht, was sie auch der Gefahr des schnelleren Falls in die Bedeutungslosigkeit aussetzt, wie er meint. Noch ehe der Rang seiner Arbeiten von einer breiteren Öffentlichkeit richtig begriffen wurde, fiel einiges der politischen Wende zum Opfer. »Wie Bilderstürmerei« empfand es der Bildhauer, als ihm im Jahr 2000 ein Lastwagen die Überreste seiner monumentalen Strandburg aus dem inzwischen abgerissenen Palast-Hotel in Berlin auf den Hof kippte. Zuvor hatte er bereits als Professor miterlebt, wie seine langjährige Wirkungsstätte, die Fachschule für Angewandte Kunst Schneeberg, abgewickelt werden sollte.
Inzwischen hat er wieder neue Werke für den öffentlichen Raum geschaffen: Für Chemnitz eine Wandgestaltung im Mercure Kongress Hotel und die Skulptur Pforte für die neuen Synagoge sowie für die bayerische Gemeinde Grainet einen Bronze-Abguss einer Holzskulptur. Sein Schaukelwagen wurde 2003 von der Firma Manufactum wieder aufgelegt und gleich 500 Mal verkauft. Nach Büchern über Marianne Brandt und über sein eigenes Werk schreibt Brockhage nun an einem Buch über böhmisches Schnitzhandwerk, das er seit langem sammelt. Seinem Alter geschuldet, bearbeitet Hans Brockhage heute nur noch selten Meter lange Holzbohlen. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag. Galerie Berlin, Auguststraße 19, Berlin-Mitte. Skulpturen und Holzschnitte, zusammen mit Berhard Heisig. 16. März-30. April, Di-Fr 13-19, Sa 13-18 Uhr.
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