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Terror in der Provinz
In seinem Roman »Die letzte Französin« erzählt Jérôme Leroy von einem aus den Fugen geratenen Frankreich
Eigentlich ist Stacy Billon die Beste ihres Jahrgangs an einer Berufsschule in Westfrankreich. Aber sie hat die Schnauze gestrichen voll von den ganzen Mackern und Idioten um sich herum, inklusive des linken Berufsschullehrers Flavien Dubourg, der genauso ein Sexist ist wie alle anderen Männer.
Jérôme Leroys im französischen Original bereits 2018 erschienene Novelle »Die letzte Französin« dürfte einer der am rasantesten erzählten Romane sein, die dieses Bücherjahr zu bieten hat. Auf gerade mal 100 Seiten erzählt der 60-jährige linke Politkrimi-Autor aus unserem Nachbarland in einer stakkatoartigen und schlicht mitreißenden Prosa die Geschichte eines vereitelten islamistischen Anschlags und davon, welche Folgen dieses Ereignis in einer westfranzösischen Provinzstadt hat.
Dreh- und Angelpunkt ist eine Schulklasse, in der eines Tages eine linke Jugendbuchautorin zu Gast ist, um ihren feministisch-empowernden Roman »Sonne für alle« vorzustellen. Eingeladen wurde sie vom linksradikalen Berufsschullehrer Dubourg, der heftig für die junge Autorin schwärmt. Aber an diesem Tag eskaliert einfach alles, und die Klassenbeste Stacy Billon, die titelgebende »letzte Französin«, wartet ganz am Ende der Geschichte mit einer bombastischen Überraschung auf.
Der Roman besticht durch die klare und einfache Schreibweise, mit der Jérôme Leroy die sich überschlagenden Ereignisse in der namenlosen ehemaligen Industriestadt erzählt. Dort sind mittlerweile die Neofaschisten vom Block an der Macht, wie in Leroys Romanen die fiktionalisierte Version des Rassemblement National heißt. Die regierenden Neofaschisten haben die Regionalpolizei hochgerüstet, die gleich zu Beginn des Romans aus Versehen einen aus dem Maghreb stammenden Geheimdienstmitarbeiter erschießt, der gerade dabei ist, eine islamistische Terrorzelle auszuheben. Zum Glück hatte er gerade noch seine Vorgesetzten per Handynachricht gewarnt.
Während nun eine Razzia im sozialen Speckgürtel die Islamisten aufschreckt und auch gleich noch einen Aufstand migrantischer Jugendlicher provoziert, klopfen sich die Sicherheitsbeamten zufrieden gegenseitig auf die Schulter, denn der Reihe nach werden die islamistischen Terroristen erschossen, unter anderem von einem wehrhaften Rentner, der mit seiner Fremdenlegionärsflinte loszieht und auf eigene Faust Jagd macht, während ein Islamist schießend durch die Fußgängerzone läuft und ein anderer sich auf den Weg zur Berufsschule begibt.
Diese 100 ungemein rasant erzählten Seiten brechen prismatisch Sorgen und Ängste der Menschen in Frankreich in Sachen Terrorismus. Ein Stück weit sind sie natürlich auch eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2018 nach den schrecklichen islamistischen Attentaten unter anderem in Paris und Nizza. Gleichzeitig erzählen sie davon, wie borniert einzelne politische Lager und staatliche Stellen in Frankreich sind.
Das gilt auch für die Linken, die Jérôme Leroy hier böse auf die Schippe nimmt. Das reicht von der Pariser Jugendbuchautorin (Leroy schreibt selbst politische Jugendbücher) über eine ehemalige Gewerkschafterin, die mittlerweile die Rechten wählt, bis hin zum linken Berufsschullehrer, der seiner Klasse jugendlicher Männer und Frauen aus einfachen Verhältnissen genauso hilflos gegenübersteht wie der von ihm angebeteten Jugendbuchautorin, die er dann auch noch begrapscht.
Männer kommen in dieser Geschichte wirklich nicht gut weg. Die finale Eskalation in einem aufgeheizten Container, in dem die Berufsschüler eingepfercht sind, während plötzlich der Amokalarm losgeht, ist dann fast schon verstörend. Die seltsame Mischung aus Satire und Tragik, die diesen rasanten Roman kennzeichnet, erlebt eine verblüffende Auflösung, denn die »letzte Französin«, die Musterschülerin, teilt am Ende so richtig aus.
Jérôme Leroy: Die letzte Französin. A.d. Franz. v. Cornelia Wend. Edition Nautilus, 104 S., br., 16 €.
Jérôme Leroys Roman bricht prismatisch Sorgen und Ängste der Menschen in Frankreich in Sachen Terrorismus.
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