- Kultur
- »Rave On« im Kino
Der Club ist das Zuhause
Die Regisseure Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski haben mit »Rave On« der Techno-Szene eine sehenswerte kritische Hommage gedreht
Kosmo (Aaron Altaras) ist Techno-DJ, jedenfalls ist er das gewesen, außerdem ziemlich desillusioniert, vielleicht depressiv, vielleicht suizidal, Genaueres erfahren wir nicht, aber irgendetwas treibt den jungen Mann an, zwingt ihn dazu, zumindest noch eine Mission durchzubringen: Er will seinem DJ-Idol Troy Porter sein neuestes, vielleicht letztes Werk übergeben: eine Platte mit »seinen Tracks«. Und das alles ist eilig, es muss in dieser Nacht geschehen, in diesem Club, in dem Porter auflegt – der Film »Rave On«, der an diesem Donnerstag in den deutschen Kinos startet, folgt Kosmo durch diese »Nacht der Nächte« auf Schritt und Tritt und wurde, wie die beiden Regisseure Viktor Jakovleski (»Krank Berlin«) und Nikias Chryssos (»Der Bunker«, »A Pure Place«) erklären, »streckenweise guerillastyle auf zwei selbst organisierten, echten Technopartys gedreht«. Der Soundtrack stammt von Ed Davenport, selbst DJ unter anderem im Berliner »Berghain«. Die halbdokumetarische Herangehensweise merkt man dem Film an, man vergisst gelegentlich, dass man im Kino und nicht auf der Techno-Party ist, der man gerade beiwohnt.
»Ich hör’ sonst auf, ich kann nicht mehr«, droht Kosmo dem Türsteher, den er von früher gut kennt und der ihn nach Hause schicken will. Ob damit die Musik gemeint ist oder das Leben, bleibt so ungeklärt wie die Frage, ob das ein großer Unterschied ist. Jedenfalls ist »das Leben« in »Rave On« eine Clubnacht in einem Technoschuppen und Protagonist Kosmo kämpft darin um seine für ihn zunehmend existenzielle Mission: Die Platte muss zum DJ.
Er wird dann doch in den Club gelassen, bekommt bald den ersten Drink serviert, obwohl er eigentlich nicht trinken wollte: »Nüchtern hältst du es gar nicht aus hier drin«, erklärt die Barfrau. In den Backstage-Bereich wird Kosmo nicht vorgelassen, und bis Porter spielt, müssen fünf Stunden rumgebracht werden. Alle guten Vorsätze gehen indes mit dem ersten Shot flöten, und mit diesen ersten Sequenzen wird eine Atmosphäre voller Ambivalenzen geschaffen. Irgendwie ist der Club das Zuhause, alles ist Kosmo vertraut, er hat das alles schon hundertmal gemacht, Tanzen, Trinken, Drogen konsumieren. Aber wirklich wohl fühlt er sich hier nicht, und wir als Zuschauer können das Unwohlsein nachempfinden. Die Clubwelt und die Feiernden, Entrückten in ihr sind oft hart und herablassend, irgendwann wird Kosmo von einer Gruppe Yuppies, die irgendwas mit »Import und Export« machen, Ketamin statt Koks untergejubelt und in den vollständigen Absturz getrieben. Er wird zum Gespött: »Was für ein Freak.«
Die Welt, die hier gezeigt wird, ist keine freundliche, der Eskapismus der Technoclub-Parallelwelt wird dekonstruiert: Die Techno-Szene reproduziert das spätkapitalistische Elend, aus dem die Partygänger doch eigentlich fliehen wollen; und ohne Drogen ist weder das eine noch das andere auszuhalten. So weit, so trivial. Doch diese Zusammenhänge bilden nur das Setting für das, wofür sich »Rave On« wirklich interessiert, nämlich dafür, wie die Kunst, so sehr sie auch von den Verhältnissen deformiert und vereinnahmt wird, die menschliche Leidenschaft weckt, wie alles andere egal wird. Denn Kosmo geht es nicht um Geld oder Ruhm. Die Kunst ist etwas Größeres, etwas, was den Menschen über seine Körperlichkeit und seine Funktion als Wertproduzent, Waren- und Drogenkonsument hinauswachsen lässt. »Diese Platte gehört dir nicht mehr. Sie gehört der Welt«, erklärt Porter Kosmo in einer Drogenhalluzination und auf sein Betteln, ihm die Platte zurückzugeben. »Aber es ist meine Platte, ich habe die Tracks gemacht. Sie gehört zu mir«, antwortet Porter lapidar: »Sobald ich sie spiele und die Welt sie empfängt, gehört sie ihr.«
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Letztlich geht Kosmo aus diesem Trip, der mehr Albtraum als traumhaft ist, nicht als Sieger oder Held hervor, sondern als Künstler. Schließlich trifft er, einigermaßen ausgenüchtert, auch die junge Frau wieder, die er irgendwo unterwegs kennengelernt und schnell wieder verloren hat, und Porter spielt dazu tatsächlich seine Platte. Und jetzt tanzt und strahlt der gebrochene Held schließlich doch noch.
Die Drogen, der funktionelle Triebabfuhr-Sex in Dark Rooms, aber auch die Heldenverehrung, all die Szene-Folklore treten in den Hintergrund, werden in »Rave On« abgeschmackte Kulisse. Die Menschen um Kosmo herum interessieren den Film nicht als Vollstrecker irgendwelcher Szenekonventionen oder als für alles Mögliche zahlendes Publikum, nicht als Konsumenten, sondern als für das Gelingen der Kunst maßgebliche Rezipienten. »Techno entsteht aus kollektiven Erlebnissen. Einem Kollektiv von Menschen. Einem kollektiven Ursprung«, sagt Porter. Dass die Kunst »aufsaugenden« Menschen trotz des Kunsterlebnisses, das sie, wie Porter es ausdrückt, zum Kollektiv werden lässt, ihre antrainierten antisozialen Verhaltensweisen auch im Rausch und der Ekstase nicht ablegen können, ist klug beobachtet. Aber wie sollten sie auch? »Rave On« präsentiert den Drogenrausch, das daraus erwachsende Ekstatische, die rauschhafte Eskalation und das katastrophale Potenzial, das der Rausch auch in sich trägt, allerdings nicht als Problem an sich, denn im Club und im Film sind sich Menschen durchaus auch nah und mitfühlend. Die problematischen Entwicklungen stehen hier eher mit der Entwicklung der Szene hin zu einem Mainstream-Phänomen in Verbindung, mehrmals werden diese Veränderungen im Film thematisiert.
Die Regisseure Jakovleski und Chryssos sind selbst in der Szene verwurzelt und haben mit »Rave On« dieser und der Musik eine sehenswerte kritische Hommage gedreht.
»Rave On«, Deutschland 2025. Regie und Buch: Nikias Chryssos, Viktor Jakovleski. Mit: Aaron Altaras, Clemens Schick, Ruby Commey, Hieroglyphic Being. 81 Min. Kinostart: 31. Juli.
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